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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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könnte, die wir speziell dem Training des induktiven Denkens zugeschrieben haben. Diese Argumentation ist prinzi­pieller Natur und daher ernst zu neh­men. Im konkreten Fall des Denktrai­nings liegen die Dinge jedoch etwas an­ders, da der von den Autoren postulierte Effekt, wenn er denn existiert, sich all­gemein in allen Leistungssituationen zei­gen sollte. Vom Denktraining wissen wir aber, daß seine Transfereffekte bereichs­spezifisch sind(Klauer 1989), daß es nicht generellen, sondern diskriminanten Transfer bewirkt(Angerhoefer, Kullik & Masendorf 1992; Masendorf 1994). Um nun die letzten diesbezüglichen Zweifel zu beseitigen, sind Experimente durchgeführt worden, in denen dem Denktraining ein Vergleichstraining kontrastierend gegenübergestellt wurde. Zwei dieser Studien sollen hier vorge­stellt werden.

Bislang wurde der Einfluß der Trainer­person praktisch noch nicht thematisiert. Es ist aber unwahrscheinlich anzuneh­men, daß alle Trainerinnen und Trainer gleich gute Effekte zeitigen. Sollten hier tatsächlich Unterschiede festzustellen sein, so hätte das praktische wie theore­tische Konsequenzen. In praktischer Hin­sicht müßte man dann mehr auf die Schulung der Trainerpersonen abstellen, und theoretisch wären die bislang vor­gelegten Befunde interpretatorisch zu korrigieren, denn auch die wären dann durch unterschiedlich gute Trainereffekte belastet. Um den Einfluß der Trainerper­son abschätzen zu können, war deshalb geplant, nur einige Trainerpersonen ein­zusetzen, die aber sowohl das Denktrai­ning als auch das Kontrolltraining in etwa gleich häufig durchführen sollten. Jedenfalls mußte eine deutliche Konfun­dierung von Trainerperson und Art des Trainings vermieden werden. Weiterhin wurde in beiden Experimen­ten der Versuch unternommen, den Ein­fluß des Trainings zum induktiven Den­ken auf das Lernen in der Schule zu ermitteln. Wie aus Metaanalysen her­vorgeht, ist für andere Schulformen Grundschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium, Gesamtschule der Ein­fluß des Denktrainings auf das schu­lische Lernen nachgewiesen(Klauer

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Tabelle 1: Versuchsplan

SPM Vortest sowie ITTD­

1995). Demgegenüber gibt es aber erst wenige Befunde aus der Sonderschule für Lernbehinderte. Bei Untersuchungen dieser Art stellt sich regelmäßig das Pro­blem, zweifelsfrei sicherzustellen, daß Lernprozesse wirklich stattfinden. Wir haben das Problem in der Regel wie in den hier vorzulegenden Versuchen so gelöst, daß im Anschluß an die Trai­ningsphase alle Vergleichsgruppen ge­meinsam an einer Unterrichtsstunde teil­genommen haben. Auf diese Weise läßt sich ermitteln, ob das vorangegangene differentielle Training zu unterschiedli­chem Lerntransfer in der nachfolgen­den Unterrichtsphase führt.

Schließlich mußte auch in den hier vor­zustellenden Studien versucht werden, den Effekt des Trainings zum induktiven Denken auf das induktive Denken selbst zu erfassen. Das sollte diesmal in zwei Anläufen geschehen, nämlich durch ei­nen Test des nahen und einen Test des fernen Transfers. Als Test des nahen Transfers dient ein Informeller Test des Induktiven Denkens(ITID), der aus 18 Items besteht, die zwar nicht im Trai­ning enthalten sind, darin aber von der ganzen Anlage her enthalten sein könn­ten. Es handelt sich um sinnvolle, situativ eingebettete konkrete Probleme indukti­ver Art, zu deren Lösung Strategien im Training vermittelt werden. Als Test des fernen Transfers dienten die Standard Progressive Matrices(SPM) von Raven, die abstrakte geometrisch-figurale Pro­bleme induktiver Art stellen. Deshalb wird generell im Sinne der Bereichsspe­zifität des Trainingseffekts angenom­men, daß der Effekt auf den informellen Test größer ist als auf den Raven-Test, wobei letzterer aber immer noch signifi­kant gesteigert werden sollte.

EXPERIMENT 1(Rademacher)

In dieser Studie sollte geprüft werden, ob das Denktraining für Jugendliche bei

10 Stunden Aufmerksamkeitstraining

Karl Josef Klauer+ Weitere Erprobung desDenktrainings für Jugendliche in der Oberstufe der Schule für Lernbehinderte

Lernbehinderten der Abschlußklassen stärker als ein gleich intensives Auf­merksamkeitstraining die beiden abhän­gigen Variablen des induktiven Denkens fördert und zugleich stärkeren Transfer auf das Erlernen eines physikalischen Gesetzes bewirkt.

Versuchsplan

Diese Fragestellung erfordert einen rela­tiv differenzierten Versuchsplan. Die Lösung, für die wir uns entschieden, ist in Tabelle 1 dargestellt. Wie man sieht, handelt es sich um einen Zwei-Grup­pen-Plan, wobei die Gruppen nur wäh­rend der zehnstündigen Trainingsphase unterschiedlich behandelt werden. Bei­de erhalten ein Training, die einen das Denktraining für Jugendliche, die ande­ren ein noch zu beschreibendes Aufmerk­samkeitstraining. Vor und nach dem Training werden die beiden abhängigen Variablen des induktiven Denkens er­hoben, wodurch feststellbar wird, ob die Trainingsbedingungen das induktive Denken unterschiedlich beeinflußt ha­ben. Für diese Tests werden die Grup­pen nicht getrennt. Das gilt auch für die anschließenden Lehr-Lern-Phasen. Bei­de Gruppen erhalten gemeinsam eine Unterrichtsstunde zu einem physikali­schen Thema, und sie erhalten anschlie­ßend Gelegenheit, ihr erworbenes Wis­sen zu diesem Thema in einem lehrziel­orientierten Test zu zeigen. Auf diese Weise wird es möglich festzustellen, ob die Trainingsbedingungen einen diffe­rentiellen Transfer auf das Lernen aus­üben.

Versuchspersonen

45 Jungen und Mädchen der Klassen 9 und 10 zweier Schulen für Lernbehin­derte nahmen an dem Versuch teil. Bei den Nachtests gab es einige Ausfälle,

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 4, 1995