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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Karl Josef Klauer- Weitere Erprobung desDenktrainings für Jugendliche in der Oberstufe der Schule für Lernbehinderte

ning ergeben, ohne daß irgendwelche Komponenten des induktiven Denkens mitgeübt würden.

Die modernen Aufmerksamkeits- und Konzentrationstheorien schließen nicht aus, daß zwischen induktivem Denken und Aufmerksamkeit oder Konzentra­tion gewisse Übereinstimmungen beste­hen(Neumann 1992; Rollett 1993; West­hoff 1993). Wie Rollett oder Neumann darlegen, unterscheidet man heute meh­rere Grundfunktionen oder Komponen­ten der Aufmerksamkeit, so etwa die Verhaltenshemmung, die Steuerung des Aktivierungsniveaus, die Informations­selektion oder die Handlungsplanung. Es ist klar, daß alle diese Komponenten bei so komplexen Leistungen wie dem induktiven Denken eine Rolle spielen. Das gilt ganz besonders für die selektive Informationsaufnahme. Beispielsweise sind nach Sternberg(1985) selektives Enkodieren und selektives Vergleichen Leistungskomponenten, die speziell für induktives Denken bedeutsam sind. Die­se Überlegungen lassen es geraten er­scheinen, für den vorliegenden Zweck nicht auf ein Trainingsprogramm zu­rückzugreifen, das auf einer solchen theoretischen Basis entwickelt worden ist oder einer solchen nahesteht, also nicht etwa auf das Aufmerksamkeits­training nach Galperin(vgl. Rollet 1993) oder auf das Marburger Konzentrations­training(Krowatschek 1995), aber auch nicht auf analoge Programme auf der Grundlage neuropsychologischer Auf­merksamkeitsforschung(vgl. Schöttke& Wiedl 1993) oder gar auf das verhaltens­therapeutisch ausgerichtete Programm für aufmerksamkeitsgestörte Kinder von Lauth& Schlottke(1993).

Bei der Auswahl der Aufgaben aus Ve­ster et al.(1979) für die zehn Trainings­stunden wurde demnach darauf geach­tet, keine Problemstellungen aufzuneh­men, die induktiv im Sinne der Definiti­on von Klauer(1993) sind. Das gelang zwar nicht in allen Fällen unzweideu­tig, aber doch in sehr vielen. Um anson­sten die Ähnlichkeit mit dem Denk­training zu erhöhen, wurden ebenfalls verbale, figurale und numerische Auf­gaben ausgewählt. Verbale Aufgaben wa­ren beispielsweiseBuchstabensalat, bei

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dem in einer scheinbar zufälligen Folge von Buchstaben einzelne sinnvolle Wör­ter versteckt waren, oderWortketten, bei denen ein Wort rasch zu nennen ist, das mit dem letzten Buchstaben des zu­vor genannten Wortes beginnt beides Aufgaben mit leicht induktivem Ein­schlag. Zu den figuralen Aufgaben ge­hörte zum Beispiel dasAugentraining, bei dem sich überkreuzende Linien von der Anfangsfigur bis zur Endfigur zu verfolgen waren, oder dasAufrastern von Bildern, bei dem einzelne Striche in markierte Felder zu übertragen wa­ren, So daß am Ende eine Figur entstand beides Aufgaben ohne jede induktive Komponente. Numerische Aufgaben wa­ren solche, bei denen Zahlen der Reihe nach miteinander zu verbinden waren, so daß eine Figur entstand, oder Aufga­ben, bei denen Zahlen die Reihenfolge festlegten, welche Buchstaben nachein­ander zu lesen sind. Auch hierbei fehlt jede induktive Komponente.

Durchführung des Trainings

Die Trainingssitzungen fanden in Grup­pen zu vier bis sechs Jungen und Mäd­chen statt. Alle jungen Leute einer Klasse wurden entsprechend eingeteilt, so daß alle zur gleichen Zeit trainiert wurden, gleichgültig welches Training sie erhiel­ten. Die Trainingssitzungen fanden vier­mal wöchentlich für jeweils eine Schul­stunde statt, so daß das Training ein­schließlich Vor- und Nachtests nach drei Wochen abgeschlossen werden konnte. Als Trainingsmethode wurde das ge­lenkte Entdeckenlassen favorisiert. Dies wurde auch im Aufmerksamkeitstrai­ning bevorzugt, So weit das eben mög­lich war.

Verhaltensbeobachtungen während des Trainings

Mehrere Momente trugen dazu bei, daß die Trainingsziele nicht durchgehend be­friedigend erreicht werden konnten. Die Trainerpersonen waren unerfahren im Umgang mit den lernbehinderten Ju­gendlichen, so daß es ihnen nicht ge­

lang, immer für hinreichende Motivati­on zu sorgen. Einige der Jugendlichen machten von Anfang an bereitwillig mit, andere verweigerten sich und steckten Mitschüler in ihrer negativen Einstel­lung noch an, und schließlich gab es Jungen und Mädchen, die insgesamt sehr still und zurückhaltend waren und stän­dig der Stimulierung bedurften. Außer­dem wurde das Training in den Grup­pen erheblich beeinträchtigt, in denen wegen der Erkrankung einer Trainerin andere Trainer einspringen mußten. Schließlich muß erwähnt werden, daß gut ein Viertel der Jugendlichen eine oder mehrere Trainingsstunden wegen Abwesenheit versäumten.

Es gab auch einige Probleme, die man auf Mängel des Denktrainings zurück­führen kann. Begriffe wie Ebene, Heilbutt oder Gemse kommen im Programm vor, waren den Jugendlichen aber nicht ver­traut. Der Unterschied zwischen gera­den und ungeraden Zahlen war den Ju­gendlichen ebenfalls nicht bekannt, und selbst die Division durch 2 bereitete man­chen Schwierigkeiten oder produzierte Unmut. Es liegt natürlich im Sinne des Programms, all das erst einmal verständ­lich zu machen, was den Kindern noch unverständlich ist, doch kostete das nicht nur Zeit, sondern belastete auch den Lerneifer.

Insgesamt darf man vermuten, daß aus­gebildete Sonderschullehrerinnen und -lehrer das Training effizienter hätten durchführen können. So, wie es hier um­gesetzt worden ist, war es kaum opti­mal, aber in der Praxis werden immer wieder solche oder ähnliche Belastun­gen auftreten. Insofern geben die hier vorzulegenden Befunde vielleicht eine Schätzung dessen ab, was man realisti­scherweise unter nichtoptimalen Bedin­gungen vom Training erwarten kann.

Die Unterrichtsstunde und der lehrzielorientierte Test

Im Anschluß an das differentielle Trai­ning erhielten alle Mitglieder einer Klas­se eine gemeinsame Unterrichtsstunde aus dem Bereich der Physik. Thema war das erste Newtonsche Gesetz, das Ge­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 4, 1995