Karl Josef Klauer
Beim Prätest des SPM hatte die Gruppe mit dem Aufmerksamkeitstraining im Durchschnitt einen Punkt mehr erzielt. Beim Posttest war die Gruppe mit dem Denktraining aber deutlich die bessere. Eine Kovarianzanalyse ganz analog der vorher berechneten zeigte einen signifikanten Gruppenunterschied(F(1;37)= 5,67, p= 0,007). Die Effektstärke lag mit ES,= 0,59 deutlich niedriger, aber noch immer im mittleren Bereich. Das Denktraining hat also auf beide Variablen des induktiven Denkens einen stärkeren Effekt ausgeübt als das Aufmerksamkeitstraining. Die Effektstärke auf den Test des nahen Transfers ist dabei größer ausgefallen als die auf den Test des weiteren Transfers, ein Ergebnis, das auch so erwartet worden war.
Transfer auf das Lernen in der Physikstunde
Die Leistungen der beiden Versuchsgruppen im lehrzielorientierten Test, der nach der Unterrichtsstunde durchgeführt worden war, unterschieden sich in keiner Weise. Beide Gruppen erzielten im Mittel fast gleiche Werte, die übrigens erstaunlich hoch lagen. Der Test war offensichtlich zu leicht, um etwaige Unterschiede im Lernen dingfest machen zu können.
Diskussion
Das vorliegende Experiment lief offensichtlich nicht so, wie dies erwartet worden war: Der Einfluß der Trainerpersönlichkeit konnte überhaupt nicht geprüft werden, weil die Zuordnung der Probanden zu den Trainerpersonen infolge eines krankheitsbedingten Ausfalls während des Trainings geändert werden mußte. Außerdem wurde entweder das Vorwissen der jungen Leute über Trägheitsphänomene unterschätzt, oder der Unterricht der Psychologinnen war so wirksam, daß nahezu alle Probanden gute Werte erzielten. Von daher läßt sich also nichts aussagen über den Transfer
des Trainings auf den Erwerb der hier vermittelten physikalischen Kenntnisse. Vielleicht hat dieser Transfer überhaupt nicht stattgefunden, vielleicht konnte aber auch ein vorhandener Transfer wegen eines Ceilingeffekts nicht nachgewiesen werden.
Daß das induktive Denken durch das entsprechende Training stärker gefördert worden ist, konnte allerdings gezeigt werden. In dieser Hinsicht war das Training zweifellos erfolgreich, und die erzielten Effekte liegen auch in einer durchaus bemerkenswerten Größenordnung. Das Training des induktiven Denkens war also erfolgreicher als das Aufmerksamkeitstraining in der Förderung des induktiven Denkens. Bei der vorliegenden Versuchsanordnung läßt sich natürlich nichts über die Wirksamkeit des Aufmerksamkeitstrainings sagen, auBer eben, daß es deutlich weniger wirksam als das Denktraining war. Selbstverständlich läßt sich diese Aussage nicht verallgemeinern: Möglicherweise wären andere Ergebnisse erzielt worden, hätten wir etwa das Training von Lauth & Schlottke(1993) herangezogen. Alles in allem erschien es sinnvoll, den Versuch unter leicht variierten Bedingungen erneut zu wagen, wobei insbesondere etwas jüngere Oberstufenkinder der Schule für Lernbehinderte herangezogen werden sollten, denen das Physikthema etwas mehr Schwierigkeiten bereiten würde. Darüber ist nun im folgenden zu berichten.
EXPERIMENT 2(Werk)
In diesem Experiment sollten alle vier Fragestellungen, die eingangs vorgestellt worden waren, erneut thematisiert werden. Wesentliche Unterschiede gegenüber Experiment 1 sind darin zu sehen, daß die Schülerinnen und Schüler durchschnittlich um fast ein Jahr jünger waren, daß es diesmal gelang, die Trainervariable wie vorgesehen zu realisieren und daß ein anderes Kontrolltraining eingesetzt wurde. Es schien nämlich angebracht, jetzt ein anderes Kontrolltraining einzusetzen, damit nicht Besonderheiten des Aufmerksamkeitstrainings zu un
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 4, 1995
Weitere Erprobung des„Denktrainings für Jugendliche“ in der Oberstufe der Schule für Lernbehinderte
haltbaren Schlüssen verleiten könnten. Immerhin gilt das Argument von der motivierenden Wirkung der Trainingssituation als solches allgemein. Von daher ist es also sinnvoll, das Argument nicht nur an einem bestimmten Kontrolltraining zu prüfen.
Über diese Fragestellung hinaus sollte also auch in Experiment 2 untersucht werden, ob das Denktraining die beiden Variablen des induktiven Denkens positiv beeinflußt, also die des nahen und die des weiteren Transfers. Ferner sollte der Einfluß der Trainerperson auf das Förderergebnis ermittelt und der Transfer des Trainings auf schulisches Lernen untersucht werden. Zu diesem Zweck wurde die Unterrichtsstunde zum Trägheitsgesetz auch in diesen Versuch einbezogen.
Versuchsplan
Formal ist der Versuchsplan identisch mit dem von Experiment 1. Der einzige Unterschied besteht darin, daß nun statt des Aufmerksamkeitstrainings ein Gedächtnistraining eingesetzt wurde. Speziell im Hinblick auf den Wissenserwerb im Unterricht schien der Einsatz des Gedächtnistrainings eine strengere Prüfung darzustellen, könnten doch Verbesserungen in der Gedächtnisleistung auch zu besseren Lernerfolgen führen.
Versuchspersonen
An dem Versuch nahmen 36 Jungen und Mädchen der 9. und 10. Klasse zweier Sonderschulen für Lernbehinderte teil, und zwar 16 Mädchen und 20 Jungen. Zwei der Mädchen, die der Gruppe mit dem Denktraining zugeordnet waren, fielen abwesenheitsbedingt am Ende aus, so daß 34 vollständige Datensätze zur Verfügung stehen. Die Jugendlichen waren im Durchschnitt 15 Jahre und 6 Monate alt, also fast ein Jahr jünger als die von Experiment 1.
Die Zuordnung der Jungen und Mädchen zu den beiden Versuchsbedingungen erfolgte ebenfalls mittels eines stratifizierten Zufallsverfahrens: Aufgrund
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