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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Marcus Hasselhom, Willi Hager und Kirsten Boeley-Braun- Läßt sich die fluide Intelligenz durch das Aachener Denktraining verbessern?

test auf 89.9 zum Zeitpunkt der Nach­erhebung angestiegen ist, während un­ter dem Kontrolltraining der Zuwachs nur von 77.5 auf 79.9 erfolgt. Der lang­fristige Effekt des Denktrainings über 6 Monate beträgt also 11 IQ-Punkte oder 8.6 IQ-Punkte mehr, als unter den Be­dingungen des Kontrolltrainings erzielt wurden.

Diskussion

Die Ergebnisse unserer experimentellen Überprüfung der von Klauer(1993a) for­mulierten Intelligenz-Transferhypothese fallen eindeutig aus: Das Denktraining II führt bei behinderten Erwachsenen zu bedeutsamen Leistungssteigerungen in der fluiden Intelligenz, die nicht durch bloße Verbesserung der Bewältigung vi­sueller Wahrnehmungsprozesse erklär­bar sind. Die verbesserten Intelligenz­testleistungen lassen sich auch nicht ein­fach als triviale Übungs- bzw. Coaching­Effekte abtun. Es ließen sich nämlich ebenfalls die Vorhersagen aus der Hy­pothese bestätigen, daß dem trainings­bedingten Anstieg der fluiden Intelli­genz entsprechende Kompetenzsteige­rungen zugrunde liegen. Noch ein hal­bes Jahr nach Abschluß des Trainings war der auf der Leistungsebene beob­achtete Transfereffekt erneut nachweis­bar. Dies ist um so bemerkenswerter, als die entscheidenden Vergleiche gegen eine ebenfalls trainierte Kontrollgruppe stattfanden; d.h. die vorgenommene Prü­fung war strenger als die in der einschlä­gigen Literatur verbreitete und in Klauers (1993a) Studien realisierte Vorgehens­

Literatur

weise, die Wirksamkeit eines Trainings gegen eine untrainierte Vergleichsgruppe zu ermitteln.

Zusatzanalysen auf dem Niveau der indi­viduellen Veränderungen der Testlei­stungen ergaben schließlich Hinweise darauf, daß das intellektuelle Leistungs­niveau vor dem Beginn der Trainings­maßnahmen von entscheidendem Ein­fluß auf die längerfristige Wirksamkeit des Denktrainings ist. Für die erwachse­nen Teilnehmer mit IQ< 60 ergab sich das erstaunlich einheitliche Bild, daß zwar ein Zugewinn hinsichtlich der flui­den Intelligenz unmittelbar nach Ab­schluß des Trainings nachweisbar war, daß die Testleistungen jedoch sechs Mo­nate später wieder auf das vor Trainings­beginn feststellbare Ausgangsniveau zurückgefallen waren. Gemäß den all­gemeinen Überlegungen von Hasselhorn (1995) sprechen diese individuellen Ver­läufe dafür, daß das Denktraining bei geistigbehinderten Personen nur zu kurzfristigen Performanzverbesserun­gen, nicht aber zu Kompetenzsteigerun­gen führt, die man u.a. an einem zeitli­chen Transfer der Trainingseffekte aus­machen könnte.

Was folgt aus den Befunden unseres Evaluationsexperimentes für die Intelli­genz-Transferhypothese von Klauer (1993a)? Für die Teilgruppelernbehin­derter Personen, für die die Intelligenz­Transferhypothese formuliert wurde, hat sich die Hypothese gut bewährt. Auch bei Kontrolle bzw. Berücksichtigung der von uns eingangs angeführten kritischen Punkte in den von Klauer(1993a) selbst vorgelegten Argumenten spricht die Datenlage für die Gültigkeit der Intelli­

genz-Transferhypothese. Nach dem bis­herigen empirischen Kenntnisstand kann also davon ausgegangen werden, daß sich durch das Aachener Denktraining die fluide Intelligenz erwachsener Be­hinderter nachhaltig verbessern läßt, so­fern diese einen IQ> 60 aufweisen. Weiterreichende Generalisierungen zur Gülügkeit der Intelligenz-Transferhypo­these etwa auf andere Subpopulationen sind jedoch aus verschiedenen Grün­den nicht gerechtfertigt. So konnten wir z.B. für eine Stichprobe von Senior(in­n)en keinerlei längerfristigen Effekte des Denktrainings auf die fluide Intelligenz feststellen(vgl. Hasselhorn, Hager, Hu­ber& Gödecke 1995); und ob die Intel­ligenz-Transferhypothese auch bei Kin­dern, Jugendlichen oder irgendwelchen anderen Teilgruppen Gültigkeit besitzt, kann erst nach entsprechenden Evalua­tionsexperimenten beantwortet werden. Trotz der hier beigebrachten und zwei­felsfrei positiven Ergebnisse für das Denktraining II bleibt allerdings nach wie vor unklar, welche Teilkompetenzen der fluiden Intelligenz durch dieses Pro­gramm bei behinderten Erwachsenen ge­nau verbessert werden. Die Befunde spre­chen zwar dafür, daß die positiven Wir­kungen nicht ausschließlich auf die Ver­besserung der visuellen Wahrnehmung zurückgeführt werden können, ob jedoch nur das induktive Denken und/oder auch andere Komponenten der fluiden Intel­ligenz(wie z.B. räumliches Denken) ver­bessert werden bzw. ob es zu lateralem Transfer zwischen den Teilkomponenten der fluiden Intelligenz kommt, ist der­zeit noch nicht hinreichend sicher zu beantworten.

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HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 4, 1995