Erwin Breitenbach und Andrea Reuter
Veränderte Kinder veränderte Schule?
meisten, nämlich 62 Prozent, unterrichteten zwischen 10 und 27 Jahren an einer Sonderschule.
Fragebogen und Durchführung der Untersuchung
Der von uns konstruierte Fragebogen lehnt sich in vielen Punkten an die von Bach et al.(1984) und Strasser(1987) in ihren Untersuchungen verwendeten Bögen an. Unser Fragebogen gliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten Teil wird nach der Person des Lehrers(Alter, Geschlecht, Dienstjahre) und nach seiner Klasse(Klassenstufe, Schülerzahl) gefragt. Im zweiten Teil des Fragebogens werden die Lehrkräfte gebeten ihre Schüler und die beobachteten Veränderungen bei diesen SchülerInnen zu beschreiben. Ihnen wird zu diesem Zweck eine Liste mit 34 Auffälligkeiten vorgelegt, wobei sich die Auswahl der einzelnen Auffälligkeiten sehr stark am„Symptomkatalog“ von Bach et al.(1984) und Strasser (1987) orientiert. Die Lehrkräfte sollen zunächst zahlenmäßig angeben, bei wievielen SchülerInnen ihrer Klasse sie einzelne Verhaltensauffälligkeiten(erhöhte Aggressivität, Überängstlichkeit, Passivität,...), Schulleistungsschwächen(geringer Wortschatz, Rechtschreibschwierigkeiten, Rechenstörungen,...) oder Teilfunktionsstörungen(auditive Wahrnehmungsstörungen, Gedächtnisschwächen, feinmotorische Störungen,...) beobachten können. Zusätzlich sollen sie einschätzen, welche der angeführten 34 Auffälligkeiten ihrer Meinung nach in den letzten 5 bis 10 Jahren zugenommen haben. Im dritten Abschnitt des Fragebogen werden die Lehrkräfte danach gefragt, wie sie ihre eigene momentane Situation in den Schulen erleben und bewerten. Fragen waren in diesem Zusammenhang: Welche der genannten 34 Auffälligkeiten ihrer Schüler von ihnen als besonders belastend erlebt werden, ob sie sich den momentanen Aufgaben in der Schule gewachsen fühlen, ob sie mit ihrem Beruf zufrieden sind und was sie gerne an ihrer Situation verändern möchten oder welche Unterstützung und Hilfe sie sich wünschen. Bei der Frage nach der gewünschten Hilfe und Unterstüt
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zung wird den Lehrkräften eine Liste mit möglichen Hilfen vorgelegt, aus der sie auswählen sollen. Vorgeschlagen wird Unterstützung durch Schulbehörde, durch Kollegen/innen, durch Eltern, durch Erziehungsberatungsstellen, durch andere Fachleute wie Ärzte, Psychologen, Krankengymnasten, Logopäden usw., durch die Einrichtung einer Schulkonferenz und durch Supervision. Im Rahmen der Frage nach Veränderungswünschen wird den Lehrkräften im Fragebogen ebenfalls zunächst eine Reihe von 14 Veränderungsvorschlägen angeboten. Zusätzlich erhalten sie hier noch die Möglichkeit, weitere in der Auswahlliste nicht aufgeführte Veränderungen mitzuteilen. In der Liste des Fragebogens werden Reduzierung der Klassenstärke, Team-Teaching, zusätzliche Aus- und Weiterbildung, Abschaffen der Lehrerbeurteilung, mehr Gespräche unter den Kolleginnen und Kollegen, Reduzierung der Unterrichtsinhalte, zusätzliche Förderung verhaltensauffälliger Schüler, Ganztagsschule, Ausbau des schulpsychologischen Dienstes, zeitliche Entlastung der Lehrkräfte, Kontaktaufnahme zu den Eltern, Einführen der kooperativen Gesamtschule, Unterrichtsbesuche durch Kolleginnen und Kollegen und Einbeziehen neuer Unterrichtsinhalte vorgeschlagen.
Die erste Fassung des Fragebogens unterzogen wir einem Expertenrating. Als Experten fungierten drei Sonderschullehrer, drei Universitätsdozenten und ein Beamter der Schulaufsichtsbehörde. Unter Berücksichtigung der Expertenmeinungen entstand die Endfassung. Mit der schriftlichen Genehmigung der Regierung von Unterfranken versehen wurden die Fragebögen an die einzelnen Schulen verteilt und dort an die jeweiligen Klassenlehrer weitergegeben. Die ausgefüllten Bögen konnten mittels eines beigefügten Freiumschlages an uns zurückgesandt werden. Die gewonnen Daten wurden mit inferenzstatistischen Verfahren wie t-Test, U-Test und Kruskal-Wallis-Test, die keine bestimmte Verteilungsform voraussetzen und mit Daten auf Ordinalskalenniveau durchgeführt werden können, ausgewertet und analysiert.
Ergebnisse
Auffälligkeiten der Schüler und ihre Veränderung
Bei den durch die Lehrkräfte beobachteten Auffälligkeiten der Schüler werden, wie Tabelle 1 zeigt, in erster Linie Schulleistungsschwächen wie Rechtschreibschwierigkeiten, geringer Wortschatz, Leseschwierigkeiten und Teilfunktionsstörungen wie mangelnde Ausdauer, Gedächtnisschwäche und feinmotorische Störungen genannt. Verhaltensauffälligkeiten wie zum Beispiel Gewalt gegen Mitschüler, Gewalt gegen Sachen, erhöhte Aggressivität, Überängstlichkeit, Kon
Tab. 1: Angaben der befragten Lehrkräften über die Schülerzahlen pro Auffälligkeit in ihren Klassen(n= 2.185) und Angaben über die durchschnittliche Anzahl der auffälligen Schüler pro Klasse(n= 169)
Auffälligkeiten Gesamt- Durchzahlder schnittauffälligen liche Schüler Zahl auf(in%) fälligerSchüler pro Klasse Rechtschreibschwierigkeiten 48,91 6,19 hohe Ablenkbarkeit 45,60 5,76 geringer Wortschatz 41,05 5,30 mangelnde Ausdauer 40,77 5,27 Leseschwierigkeiten 34,37 4,44 Rechenstörungen 27,90 3,60 Gedächtnisschwäche 25,85 3,34 unfähig, Regeln einzuhalten 25,40 3,28 feinmotorische Störungen 23,85 3,08 Aggressivität 21,69 2,80 visuelle Wahmehmungsstörung 21,37 2,76 motorische Unruhe 20,69 2,71 dysgrammatische Sprache 17,84 2,30 auditive Wahrnehmungsstörung 17,43 2,25 Gewalt gegen Mitschüler 16,97 2,19 Distanzlosigkeit 16,75 2,16 Passivität 16,29 2,10 taktil-kinästhetisch-vestibuläre Wahmehmungsstörung 16,06 2,07 verwaschene Artikulation 15,88 2,05 Lügen 15,74 2,03 Artikulationsfehler 15,01 1,95 grobmotorische Störungen 14,05 1,81 Wutanfälle 12,03 1,55 Gewalt gegen Sachen 11,67 1,50 Kontaktarmut 11,33 1,46 berängstlichkeit 11,12 1,43 Schulschwänzen 8,32 1,07 erhöhte Aggressivität 7,27 0,90 depressive Gestimmtheit 5:21 0,67 sexuelle Auffälligkeiten 5,08 0,65 Stehlen 4,03 0,55 Einnässen 3,43 0,44 Gewalt gegen Lehrer 3,06 0,39 Alkoholmißbrauch 2,42 0,31
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 4, 1995