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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
Seite
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Erwin Breitenbach und Andrea Reuter ­

Veränderte Kinder veränderte Schule?

taktarmut, Schulschwänzen usw. werden von den Lehrkräften erst in zweiter Li­nie und in bedeutend geringerem Aus­maß beobachtet. Um das Ausmaß der vorliegenden Lern- und Verhaltenspro­blematik tatsächlich einschätzen zu kön­nen, ist es wichtig zu wissen, wieviele der einzelnen Auffälligkeiten in unter­schiedlichster Kombination gleichzeitig bei einzelnen SchülerInnen zu finden sind. Nimmt man die Angaben aller Lehrkräfte zusammen, so ergeben sich durchschnittlich etwa sechs gleichzeitig vorhandene Auffälligkeiten pro Schüler oder Schülerin.

Betrachtet man die Einschätzung der Lehrkräfte über die Zunahme der Auf­fälligkeiten in den letzten 5 bis 10 Jah­ren, So sind, wie in Tabelle 2 zu sehen ist, Verhaltensauffälligkeiten an erster Stelle zu finden. Über 50 Prozent der Lehrkräfte konstatieren eine Zunahme

Tab. 2: Angaben der Lehrkräfte über die von ih­nen wahrgenommene Zunahme einzelner Auffäl­ligkeiten in den letzten 5 bis 10 Jahren(n= 169)

Auffälligkeiten Lehrkräfte Lehrkräfte (Anzahl)(Prozent) Aggressivität 136 80,00 Gewalt gegen Mitschüler 134 78,78 hohe Ablenkbarkeit 129 75,88 unfähig, Regeln einzuhalten 128 75,29 mangelnde Ausdauer 124 72,94 motorische Unruhe 13 66,47 Gewalt gegen Sachen 105 61,76 geringer Wortschatz 95 55,88 erhöhte Aggressivität 87 51,17 Distanzlosigkeit 79 46,47 Rechtschreibschwierigkeiten 66 38,82 Wutanfälle 64 37,64 Kontaktarmut 58 34,11 Passivität 56 32,94 Leseschwierigkeiten 54 31,76 Gewalt gegen Lehrer 49 28,82 Rechenstörungen 49 28,82 Gedächtnisstörungen 49 28,82 sexuelle Auffälligkeiten 47 27,64 Schulschwänzen 45 26,47 auditive Wahrnehmungsstörung 43 25,29 taktil-kinästhetisch-vestibuläre Wahrmehmungsstörung 40 23,52 dysgrammatische Sprache 39 22,94 verwaschene Artikulation 37 21,76 feinmotorische Störungen 36 21,17 visuelle Wahmehmungsstörung 33 19,41 depressive Gestimmtheit 30 17,64 Lügen 30 17,64 Stehlen 28 16,47 Artikulationsfehler 27 15,88 berängstlichkeit 26 15,29 grobmotorische Störungen 26 15,29 Alkoholmißbrauch 22 12,94 Einnässen 6 3,50

von aggressiven, gewalttätigen Verhal­tensweisen. Ähnlich stark scheinen Auf­fälligkeiten zuzunehmen, die man unter das Hyperkinetische Syndrom subsumie­ren könnte(hohe Ablenkbarkeit, Unfä­higkeit der Regeleinhaltung, mangelnde Ausdauer, motorische Unruhe). Beach­tenswert ist auch das Anwachsen der Lese- Rechtschreibschwierigkeiten, das von fast 39 beziehungsweise 32 Prozent der befragten Lehrkräfte festgestellt wird. Einnässen, Alkoholmißbrauch, Lügen, Stehlen oder Überängstlichkeit tauchen am Ende der Tabelle auf. Ihre Zunahme beobachten weniger als 18 Prozent der Lehrkräfte.

Klassenstufe und Klassengröße

Die Schule zur individuellen Lernför­derung in Bayern kennt vier Klassen­stufen: Diagnose- und Förderklassen so­wie die Förderstufen zwei, drei und vier. Die Auffälligkeiten Einnässen, Artiku­lationsfehler, Wahrnehmungsstörungen im auditiven, visuellen und taktil-kin­ästhetischen Bereich sind signifikant häufiger in Diagnose- und Förderklassen zu finden. Schüler der Förderstufe 4 un­terscheiden sich signifikant nach Ansicht der befragten Lehrkräfte von allen übri­gen bei Auffälligkeiten wie Alkohol­mißbrauch, Schuleschwänzen und Pas­sivität(Kruskal-Wallis-Test, p<.05). Werden beobachtete Verhaltensverän­derungen der Schüler mit den Klassen­stufen in Beziehung gesetzt, ergeben sich keine signifikanten Unterschiede(Krus­kal-Wallis-Test, p>.05).

Analysiert man die vorliegenden Daten nach der Variablen Klassengröße, so zeigt sich, daß in Klassen mit einer Klas­senstärke von 13 bis 18 SchülerInnen verglichen mit denjenigen Klassen, in denen sich nur 7 bis 12 SchülerInnen befinden, signifikant häufiger von den Lehrkräften eine Zunahme der Ab­lenkbarkeit, mangelnden Ausdauer, Un­fähigkeit der Regeleinhaltung, Passi­vität und Aggressivität registriert wird (U-Test, p<.05).

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XXI, Heft 4, 1995

Geschlecht, Alter und Dienstalter der Lehrkräfte

Durchgängig ist zu beobachten, daß Leh­rerinnen einen höheren Prozentsatz auf­fälliger Schüler angeben. Statistisch si­gnifikant ist dieser geschlechtsspezifi­sche Unterschied bei 13 der 34 abgefrag­ten Auffälligkeiten(U-Test, p<.05). Be­züglich des Alters und Dienstalters der Lehrkräfte können keine bedeutsamen Unterschiede gefunden werden.

Belastung der Lehrkräfte

Als besonders belastend empfinden die Lehrkräfte genau die Auffälligkeiten, die ihrer Meinung nach auch in besonderem Maße zugenommen haben. Wie Tabel­le 3 zeigt, sind dies wiederum aggressi­ve, gewalttätige Verhaltensweisen und

Tab. 3: Angaben der Lehrer über die Auffällig­keiten der Schüler, die als besonders belastend erlebt werden(n= 169)

Auffälligkeiten Lehrkräfte Lehrkräfte (Anzahl)(Prozent) Gewalt gegen Mitschüler 137 81,06 unfähig, Regeln einzuhalten 129 76,33 hohe Ablenkbarkeit 128 75,73 motorische Unruhe 117 69,23 Aggressivität 103 60,94 Gewalt gegen Sachen 99 58,57 erhöhte Aggressivität 94 55,62 mangelnde Ausdauer 87 51,47 Gewalt gegen Lehrer 61 36,09 Passivität 59 34,91 Lügen 55 32,54 Distanzlosigkeit 53 31,36 Wutanfälle 44 26,03 Stehlen 42 24,85 sexuelle Auffälligkeiten 38 22,48 Schulschwänzen 36 21,30 Kontaktarmut 36 21,30 geringer Wortschatz 33 19,52 depressive Gestimmtheit 28 16,56 Leseschwierigkeiten 25 14,79 Rechtschreibschwierigkeiten 24 14,20 Rechenstörungen 22 13,01 Gedächtnisschwäche 20 11,83 Alkoholmißbrauch 19 11,24 berängstlichkeit 18 10,65 auditive Wahrnehmungsstörung 10 5,91 verwaschene Artikulation 9 3,32 visuelle Wahmehmungsstörung 9 5,32 taktil-kinästhetisch-vestibuläre Wahmehmungsstörung 9 5,32 dysgrammatische Sprache 8 4,73 Einnässen 7 4,14 Artikulationsfehler 7 4,14 feinmotorische Störungen 6 3,55 grobmotorische Störungen 1 0,59

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