Möglichkeiten und Grenzen der empirischen Evaluation sonderpädagogischer Interventionen in quasi-experimentellen Einzelfallstudien
Von Franz B. Wember
Die empirische Evaluation sonderpädagogischer Interventionen erfordert die vergleichende Beurteilung von Handlungsalternativen hinsichtlich ihrer realen Effektivität. Traditionell werden zu diesem Zwecke Gruppenvergleichsstudien eingesetzt, obwohl diese unter Realisierbarkeitsproblemen hinsichtlich Randomisierung, Kontrollgruppenbildung und Stichprobengröße leiden und in Bezug auf ihre Praxisrelevanz zu wünschen übrig lassen, da sie wenig flexibel und für individuelle Differenzen wenig sensitiv sind. Als Alternative wird die Strategie der quasi-experimentellen Einzelfallanalyse erläutert. An vier Beispielen aus der Forschung werden inter- und intraindividuelle Replikationsdesigns vorgeführt und hinsichtlich ihrer internen und externen Validität beurteilt. Es zeichnen sich erste Konturen eines Programms zur praxisbegleitenden Forschung ab, in der Einzelfallstudien die gruppenvergleichenden Designs sinnvoll ergänzen.
The empirical investigation of interventions in special education requires the relative evaluation of alternative programs of action as to their real efficacy. Traditionally, group-comparison designs have been employed although they suffer from problems concerning their feasability and their relevance for educational practice, particularly with regard to randomization, selection of control groups, sample size, flexibility, and sensitivity to individual differences. Alternatively the strategy of the quasiexperimental single-case analysis is introduced. Interand intraindividual replication designs are explained along four examples from the research literature and are analyzed concerning their internal and external validity. The first shape of a research program aiming at empirically controlled educational practice is outlined, which combines traditional group comparisons and single-case analyses.
Im Alltag handeln wir, wenn wir meinen, wir sollten etwas tun, und verlassen uns mehr oder minder darauf, daß wir erfolgreich sind; meist ändern wir unsere Handlungen erst dann, wenn die erwarteten Erfolge ausbleiben. Im wissenschaftlichen Bereich reicht solch eine unsystematische, nur gelegentlich anfallende Erfolgskontrolle oft nicht aus; hier werden aktive Eingriffe in den Ablauf der Ereignisse, im weiteren Interventionen genannt, oft systematisch bewertet, und dies vorsorglich bereits in einer frühen Erprobungsphase und nicht erst in Fällen akuten Mißerfolgs. Alle Maßnahmen, die der Beurteilung, Bewertung und Verbesserung einer Intervention in praktischen Handlungsfeldern dienen, werden im allgemeinen unter den Begriff
der Evaluation gefaßt. Falls solche Maßnahmen in systematischer Weise geplant und in methodisch fundierter Weise durchgeführt werden, spricht man von wissenschaftlicher Evaluation bzw. von Evaluationsforschung. Ist eine Intervention darauf ausgerichtet, die Bildung und/oder Erziehung behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen zu fördern, zu bewirken oder zu verbessern, wollen wir in dieser Arbeit von einer sonderpädagogischen Intervention sprechen und von sonderpädagogischer Evaluationsforschung, wenn solch eine Intervention in systematischer und methodisch kontrollierter Weise hinsichtlich ihrer Wirksamkeit untersucht wird. Angewandte Forschung, die der Beurteilung und Bewertung von Maßnahmen
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994
im pädagogischen Feld dient, macht traditionell den Großteil an empirischer Forschung im Bereich von Bildung und Erziehung aus, im allgemeinpädagogischen ebenso wie im sonderpädagogischen Bereich. Verwunderlich ist das nicht, schließlich sind Pädagogik und Sonderpädagogik angewandte Disziplinen. Alle großen Innovationen der letzten drei Jahrzehnte sind hier wissenschaftlich begleitet worden, von der Vorschulerziehung über die Grundschulreform und die reformierte gymnasiale Oberstufe(vgl. die entsprechenden Sammelreferate bei Ingenkamp, Jäger, Petillon& Wolf 1992) bis hin zur kontrovers diskutierten Integrierten Gesamtschule (vgl. zusammenfassend Wottawa 1982) und zur integrativen Erziehung Behin
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