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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Franz B. Wember- Evaluation in Einzelfallstudien

mentellen Überlegungen dürfen, so wich­tig sie auch sind, in einem ethisch sensi­blen Feld, wie es die Sonderpädagogik darstellt, keinesfalls verkürzt, d.h. unter Auslassung subjektiv-psychologischer und gesellschaftlich-ideologischer Frage­stellungen, verfolgt werden. In diesem Zusammenhang ist zu fordern, daß bei der empirischen Überprüfung der Inter­ventionseffekte nicht nur auf die gewoll­ten Auswirkungen geachtet wird, son­dern daß ebenso untersucht wird, ob und in welchem Ausmaß sich gegebenenfalls zu erwartende und vielleicht sogar völ­lig unerwartete Negativeffekte einstel­len schließlich lehrt die tägliche Er­fahrung, daß das Gesetz von den unver­meidlichen ungewollten Nebenwirkun­gen auch in Pädagogik und Sonderpäd­agogik fröhliche Urständ feiert.

Ein Blick in die Fachliteratur zeigt, daß unter dem Sammelnamen der Evalua­tionsforschung eine Vielzahl von Studi­en gefaßt wird, die sich nach Problem­stellung, Gegenstand, Ort und Zeitdauer, Zielsetzung, Forschungsdesign, Metho­dik der Datenerhebung und-auswertung etc. einteilen ließen(vgl. z.B. Hermann, Morris& Fitz-Gibbon 1988; Prell 1984; Wittmann 1985; Wottawa& Thierau 1990). In der vorliegenden Arbeit soll eine Gruppe von Forschungsdesigns vor­gestellt werden, die in der internationa­len Literatur wenig und in der deutsch­sprachigen Literatur zur wissenschaftli­chen Evaluation fast gar nicht beachtet wird, die Gruppe der quasi-experimen­tellen einzelfallanalytischen Designs. Es soll gezeigt werden, daß diese Designs bestimmten, oft notwendigen Restrik­tionen, denen die Wissenschaftler bei Feldforschung im Bereich von Pädago­gik und Sonderpädagogik immer wieder begegnen, weitgehend entgegenkommen, und daß diese Designs der Arbeitsweise praktisch tätiger Sonderpädagogen struk­turell weitgehend entsprechen, so daß sie sich zur praxisbegleitenden For­schung geradezu anbieten. Im Verlaufe der Argumentation wird zu untersuchen sein, ob quasi-experimentelle Einzelfall­analysen die methodischen Standards er­füllen, die von wissenschaftlicher Eva­luationsforschung zu fordern sind, d.h. es wird gefragt, ob sich mittels der hier

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vorzustellenden Art von Forschung die Effekte von Interventionen zweifelsfrei feststellen und ob sich generalisierende Aussagen formulieren lassen, die in ih­rer Gültigkeit über die konkreten Bedin­gungen der jeweiligen Einzelfallstudie hinausreichen. Die Argumentation wird sich folglich vorrangig auf methodolo­gische Betrachtungen beziehen und sich wir folgen hier einer klassischen Ein­teilung des Forschungsprozesses von Reichenbach(1953) auf den Begrün­dungszusammenhang von empirischer Evaluationsforschung im engeren Sinne (Campbell, 1969) konzentrieren, wäh­rend der Entdeckungs- und der Verwer­tungszusammenhang nicht eigens the­matisiert werden. Daraus ist allerdings nicht zu schliessen, letztere seien nur von sekundärer Bedeutung: Zielentschei­dungen präformieren maßgeblich die Entwicklung von Interventionen und müssen deshalb bei deren Beurteilung ebenso kritisch betrachtet werden wie die Frage, wem und wie eine Interventi­on letztendlich nutzt. Andererseits ist zu bedenken: Wenn es den Forscherin­nen und Forschern nicht gelingt, me­thodisch gesicherte Daten zu präsentie­ren, die begründete Schlüsse über die wirklichen Auswirkungen einer Inter­vention zulassen, gibt es jedenfalls aus der Sicht einer sich kritisch verstehen­den Sonderpädagogik als Realwissen­schaft(Kanter 1985) wenig zu disku­tieren, was über den Austausch persön­licher Meinungen hinausgehen könnte.

Gruppenvergleichsstudien als Standardmethoden

Wer eine Intervention empirisch prüfen will, muß diese bei solchen Personen implementieren, die für die Zielgruppe, für welche eine Intervention gedacht ist, repräsentativ sind. Er muß außerdem mindestens eine abhängige Variable ope­rational definieren, die als Indikator für Erfolg oder Mißerfolg dienen kann. Um feststellen zu können, ob sich die Aus­prägung der abhängigen Variablen in Abhängigkeit von der Intervention als der unabhängigen Variablen ändert, muß er außerdem Maßnahmen zur Kontrolle

möglicher Störfaktoren treffen. Kurzum: Wer eine Intervention empirisch evalu­ijeren und dabei wissenschaftlichen Stan­dards genügen will, muß die klassischen vier Bedingungen erfüllen, die für ex­perimentelle bzw. quasi-experimentelle Forschung gelten: Sequenz zwischen abhängiger und unabhängiger Variable, willkürlich herstellbare Intervention, theoretisch valide Effektmessung und vollständige bzw. näherungsweise Bedin­gungskontrolle. Die wissenschaftliche Evaluation einer Intervention entspricht nämlich forschungslogisch der Prüfung einer vorgeordneten Hypothese, die ei­nen funktionalen Zusammenhang zwi­schen unabhängiger und abhängiger Variable postuliert(vgl. Wember 1991, 94-96), und in diesem Zusammenhang kommt der Bedingungskontrolle eine besondere Bedeutung zu: Nur wenn es gelingt, in der Forschungspraxis even­tuelle Störfaktoren vollständig oder mög­lichst weitgehend auszuschalten, kön­nen Veränderungen in der Ausprägung der abhängigen Variable relativ eindeu­tig auf die Intervention zurückgeführt werden. Ist die Kontrolle von Störfak­toren nicht oder nur sehr unvollständig gelungen, kann man nicht sicher sein, ob die beobachteten Effekte wirklich auf die zu prüfende Intervention zurückge­hen.

Die klassische Strategie der Bedingungs­kontrolle ist die des Gruppenvergleiches, bei der im einfachsten Falle die Ergeb­nisse einer Experimentalgruppe, die der zu prüfenden Intervention ausgesetzt war, mit den Ergebnissen einer Kon­trollgruppe verglichen wird, die keiner bzw. einer anderen z.B. der bislang üblichen Intervention ausgesetzt war. Einer Kontrollgruppe mit alternativer statt mit keiner Behandlung ist in der angewandten Feldforschung fast immer der Vorzug zu geben; denn wenn in ei­nem sonderpädagogischen Handlungs­feld überlegt wird, eine neue Interventi­on einzuführen, ist die Alternative dazu nur in seltenen Ausnahmefällen, über­haupt keine Behandlung durchzuführen. Eine Forscherin, die gruppenverglei­chend vorgeht, prüft faktisch die theore­tische Hypothese, die neue Intervention steigere die Ausprägung der abhängi­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994