Franz B. Wember- Evaluation in Einzelfallstudien
Abb. 6: Anzahl von Reversionen in zweistelligen Zahlen beim Lösen von Additionsaufgaben durch einen achtjährigen Grundschüler mit schwachen Rechenleistungen(leicht geändert aus Hasazi&
Hasazi, 1972, S. 160) N= Anzahl der Reversionen t= Unterrichtstage
Al Ignorieren korrekt und Üben falsch gelöster Aufgaben B1 Ignorieren falsch und positives Bekräftigen korrekt gelöster Aufgaben A2 Ignorieren korrekt und Üben falsch gelöster Aufgaben B2 Ignorieren falsch und positives Bekräftigen korrekt gelöster Aufgaben
98. Es waren alle Aufgaben ausgenommen, die im Ergebnis keinen Zifferntausch zuließen, wie dies bei gleichziffrigen und Zahlen mit glattem Zehner (20, 30, 55, 88 usw.) der Fall ist. Bobs Arbeitsblatt wurde zunächst von der Lehrerin und im Anschluß an den Unterricht zusätzlich von einem Forscher beurteilt. Es zeigte sich eine perfekte Beurteilungsreliabilität von 100%.
In einer ersten Phase von sieben Unterrichtstagen verfuhr die Lehrerin exakt so, wie sie es immer getan hatte, und Bob produzierte sehr viele, nämlich im Durchschnitt 19,4 Fehler. In einer zweiten Phase von ebenfalls sieben Tagen war die Lehrerin angehalten, umgekehrt zu verfahren. Nun sollte sie nur korrekt gelöste Aufgaben loben und falsch gelöste Aufgaben ignorieren. Bob produzierte an den Tagen 8 und 9 nur falsche Lösungen, so daß er nicht positiv verstärkt werden konnte. Erst am dritten Interventionstag konnte die Lehrerin drei richtig gelöste Aufgaben hervorheben
und den Schüler dafür loben. An den darauffolgenden Tagen sank die Fehlerrate drastisch ab auf nur zwei bis vier Fehler. Abbildung 6 macht deutlich, daß der beobachtete Effekt zeitlich verzögert einsetzt, was durch die Art der Intervention zu erklären ist, die bei 0% richtiger Antworten noch nicht richtig greifen kann, dann jedoch abrupt zu einer starken Reduktion der Fehler führt. Betrachtet man jedoch nur die beiden bislang besprochenen Phasen, ist ein funktionaler Zuammenhang zwischen Intervention und Rechenleistung noch nicht eindeutig belegt. Ein Kritiker könnte einwenden, daß irgendwelche außerexperimentelle Faktoren die beobachteten Leistungsänderungen bewirkt haben. Die beste Methode, solch einem Einwand zu begegnen, ist die Replikation, das ist der Versuch, einen Effekt wiederholt herzustellen.
In einer dritten Versuchsphase von sieben Tagen nahm die Lehrerin ihr ursprüngliches Zuwendungsverhalten wie
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994
der auf. Mit einer Verzögerung von zwei Tagen sprang die Fehlerrate wieder auf 20. Ab dem 22. Tag wurden wieder Fehler ignoriert und korrekte Leistungen 10bend hervorgehoben: Nach einem weiteren Tag auf hohem Niveau sank die Fehlerrate abrupt ab auf die in der ersten Interventionsphase auch erreichten zwei bis vier Fehler.
Hasazi& Hasazi(1972) haben den von ihnen vermuteten Zusammenhang zwischen Zuwendungsverhalten der Lehrerin und Lernverhalten des Schülers empirisch gut belegt, indem sie ihn intraindividuell repliziert haben. Sie haben den Schüler Bob gewissermaßen als seine eigene Kontrollperson benutzt und wiederholt demonstrieren können, daß sich die Leistungen des Schülers ändern, wenn zuvor die Lehrerin ihr Zuwendungsverhalten geändert hat. Der Effekt setzt zwar mit kurzer zeitlicher Verzögerung ein, wirkt sich dann aber schnell, deutlich und gleichförmig aus. Wegen der geringen Teststärke bei n= 7 Beobachtungen pro Versuchsphase ist dieser Effekt statistisch nicht abzusichern, wenngleich sich der Unterschied zwischen den Phasen A2 und B2 der Signifikanzgrenze nähert(Sekundäranalyse mit Binomialtest am Median der Kontrollphase, p(x> 6| N= 7)<.06 nach Tafel 1 bei Bortz, Lienert& Boehnke 1990, 629). Die Größe und Gleichförmigkeit des Effektes in beiden Interventionsphasen spricht gegen die Vermutung, es handele sich bei den beobachteten Leistungsänderungen um zufällige Schwankungen. Die Effektstärke spricht dafür, daß der beobachtete Effekt pädagogisch bedeutsam ist, so daß es nicht zu gewagt sein dürfte, wenn wir schließen: Hasazi& Hasazi(1972) haben eine häufig zu beobachtende und somit pädagogisch bedeutsame Lernschwierigkeit, die im untersuchten Fall in der LehrerSchüler-Interaktion begründet war, in einem intraindividuellen Replikationsdesign untersucht und gezeigt, daß eine vergleichsweise einfache Intervention— die gezielte Veränderung des Lehrerverhaltens— vergleichsweise große Auswirkungen hat. Das realisierte N= 1Design ist quasi-experimenteller Art, weil es eine näherungsweise Kontrolle
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