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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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möglich es sei denn, die Kinder haben überhaupt nichts dazugelernt, aber dann ist eine Rückkehr nicht nötig.

Interindividuelle Replikation

Enuresis liegt vor, wenn ein Kind, des­sen Blase organisch ohne Befund ist, das Urinieren nur eingeschränkt oder gar nicht kontrollieren kann, obwohl es von seinem Lebensalter her dazu pro­blemlos in der Lage sein sollte. Enuresis ist häufig bei entwicklungsverzögerten Kindern zu beobachten. Sie wird im all­gemeinen als behandlungsbedürftiges Problem eingestuft, weil die Kontrolle über die eigene Blase in unserem Kultur­kreis als selbstverständliche Leistung angesehen wird, so daß sich durch un­kontrolliertes Urinieren, das die Betrof­fenen selbst fast immer als ausgespro­chen unangenehm empfinden, soziale Schranken senken, die eine Integration in Familie, Gleichaltrigengruppe und Schule behindern. Die familiäre und schulische Versorgung der betroffenen Kinder wird beträchtlich erschwert, und auch aus medizinischer Sicht kann Enu­resis auf Dauer nicht unbehandelt blei­ben, da sekundäre Folgeerkrankungen zu erwarten sind, vor allem Hautkrank­heiten und Infektionen des urinalen Trakts.

Während man bei dauerhafter Enuresis annehmen muß, daß die entsprechende muskuläre Kontrolle noch nicht erlernt wurde, kann man bei gelegentlich auf­tretender Enuresis davon ausgehen, daß die muskuläre Kontrolle zwar prinzipi­ell beherrscht, aber nicht generell aus­geübt wird. Barmann, Katz, OBrien und Beauchamp(1991), die drei geistigbehin­derte Jungen im Vor- und Primarschul­alter(mittlerer IQ nach Stanford-Binet ca. 40) mit gelegentlicher Enuresis be­handeln wollten, entwickelten deswegen die Kurzfassung eines systematischen Trainingsprogramms von Foxx& Azrin (1973), die sich allein darauf konzen­triert, die konsistente Kontrolle der Bla­se im Alltag zu fördern. Als abhängige Variable wurde ganztägig die Anzahl von Inkontinenzen gemessen, und zwar durch stündliche Kontrolle der Windeln in der Familie und in der Schule. Relia­

Franz B. Wember- Evaluation in Einzelfallstudien

4 8 12 1620 24 28 32 36 40 44 48 52 56 60 64 68 72 76 80 84 88

Abb. 8: Anzahl von Inkontinenzen in der Familie und in der Schule bei drei geistigbehinderten Jungen vor, während und nach einem pädagogischen Ubungsprogramm(leicht geändert aus Barman

et al., 1981, S. 344) N= Anzahl der Inkontinenzen t= Behandlungstage, viertägig geblockt Messungen in der Familie Messungen in der Schule

A Kontrollphase B Interventionsphase(Erläuterungen im Text)

bilitätsprüfungen ergaben eine zufrieden­stellende Zuverlässigkeit von 90% Über­einstimmung zwischen Eltern, Lehrern und Forschern.

Die Intervention bestand darin, die Win­deln gemeinsam mit dem Kind zu prü­fen. Waren sie trocken, wurde der Junge gelobt, waren sie naß, mußte er sich waschen und abtrocknen, neue Windeln und Unterwäsche anlegen, die alte Win­del selbst entsorgen und anschließend auf der Toilette vormachen, was er bes­ser hätte tun sollen. Wir wollen im fol­genden weniger auf die Behandlung von Enuresis eingehen, darüber und auch über die hier zur Anwendung gekom­menen Maßnahmen ließe sich trefflich debattieren, als vielmehr das For­schungsdesign betrachten, das Barmann et al.(1981) benutzt haben, um die Ef­fektivität ihrer Maßnahmen zu überprü­fen.

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994

Abbildung 8 zeigt die Anzahl von Inkon­tinenzen pro Tag, zum einen gemessen in der Familie, zum anderen gemessen in der Schule. Wiedergegeben werden die Meßdaten aller dreier Jungen. Kon­zentrieren wir uns der Einfachheit hal­ber zunächst auf die Ergebnisse in der Familie(Abb. 8, durchgezogene Linien) und beginnen wir beim ersten Schüler (Abb. 8, oben): In der Kontrollphase vor Beginn der Intervention werden an drei Tagen 12 bis 14 Inkontinenzen beob­achtet. Beim Einsetzen der Intervention sinkt die Rate sofort und relativ steil ab, erreicht schon am 5. Tag 0 und bleibt dort, auch in einer sich anschließenden Kontrollphase nach Beendigung der In­tervention. Dieses Ergebnis läßt sich sta­tistisch absichern. Benutzt man die Mit­telhalbierende der ersten Kontrollphase als Schätzwert für die Interventions- und zweite Kontrollphase, liegen alle Meß­

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