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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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erkrankt waren. Bei diesem Personen­kreis ist besonders wichtig, daß die Lebensführung schnell und dauerhaft auf krankheitsgerechtes Verhalten umge­stellt wird. Die pädagogische Interven­tion bestand in einem kombinierten El­tern- und Kindtraining. Informationen über die korrekte diätische Ernährung wurden vermittelt, die Selbstmedikamen­tion wurde geübt, krankheitsgerechtes Verhalten der Kinder wurde belohnt und Eltern und Kinder lernten, einen Urintest durchzuführen und auszuwerten, der im Hinblick auf eine angemessene Selbst­medikamention wichtig war. Die Grafik zeigt den Prozentsatz negativer Urin­proben pro Tag und Gruppe, dargestellt sind jeweils die Mittelwerte(durchge­zogene Linie) und Standardabweichun­gen der Mittelwerte(gestrichelte Lini­en). Auch hier wird deutlich: Betrachtet man nur eine Gruppe für sich, kann man kaum Rückschlüsse auf die Effektivität der Intervention wagen. Das ändert sich, sobald man das Gesamtbild betrachtet und berücksichtigt, daß es gelungen ist, den Effekt dreimal willkürlich herzu­stellen.

Mancher wird sich fragen, ob es sich bei der hier referierten Arbeit nicht um eine Gruppenvergleichsstudie handelt? Das Vorgehen von Epstein und Mitarbeitern (1981) ist insofern einzelfallanalytisch angelegt, als daß sie zunächst jede Grup­pe für sich betrachten: Die Werte der A-Phase einer Gruppe dienen als Ver­gleichsdaten zur Abschätzung eines eventuellen Effektes in der B-Phase die­ser Gruppe, d.h. die Gruppe fungiert als ihre eigene Kontrollgruppe. Solch ein Vorgehen ist in diesem Fall sachlich angemessener als die klassische Grup­penvergleichsstrategie, weil Individuen für sie typische Insulinkonzentrationen aufweisen. Folglich sind intraindividu­elle Kontrolldaten durch geringere Feh­lervarianz belastet als interindividuelle Vergleichsdaten. Darüber hinaus ist es, wie gesehen, den Forscherinnen und For­schern unbenommen, die Interventions­effekte interindividuell zu replizieren. Hier wird jedoch nur sekundär die Aus­prägung der abhängigen Variable in Pha­se B zwischen den Gruppen verglichen, primär wird die Frage beantwortet: Ge­

lingt es, den Interventionseffekt willkür­lich herzustellen? Und diese Frage kann von Epstein et.al.(1981) ebenso positiv beantwortet werden wie in der zuvor re­ferierten Untersuchung von Barman und Mitarbeitern(1981).

Vom Paradigma zum progressiven Forschungsprogramm

Ausgehend von einer Analyse der Schwächen traditioneller Forschungs­designs aus sonderpädagogischer Sicht haben wir gefragt, ob es alternative Me­thoden der praxisbegleitenden Evalua­tionsforschung gebe, die sich für typi­sche Problemstellungen eignen, wie sie im Feld der Sondererziehung und Reha­bilitation auftauchen. Insbesonders soll­ten diese flexibel einsetzbar sein, nicht mit den Belangen der pädagogischen Praxis konfligieren, sensibel für indivi­duelle Differenzen und repräsentativ für das Verhalten einzelner sein. Wir haben vorgeschlagen, neben gruppenverglei­chenden Studien auch quasi-experimen­telle Einzelfallanalysen einzuführen und konnten an ausgesuchten Beispielen aus der Forschung die zentrale Strategie der intra- bzw. interindividuellen Replika­tion von Effekten demonstrieren. Mit Abstrichen bei der letzten Studie, die gruppenvergleichende Elemente nutzt, sind die referierten Designs flexibel ein­setzbar, unter Bedingungen der Alltags­praxis realisierbar, sensitiv für inter- und intraindividuelle Veränderungen und re­präsentativ für die Effekte von Interven­tionen bei Einzelpersonen. Darüber hin­aus sind die referierten Studien aus di­daktischen Gründen ausgesucht worden: Sie spiegeln die beiden Grunddesigns einzelfallanalytischer Forschung beson­ders klar wieder und zeigen vergleichs­weise deutliche Effekte, sind also eher einfach zu interpretieren. Wer in Lehr­bücher der Einzelfallforschung hin­einsieht(z.B. Barlow& Hersen 1984; Kazdin 1982 oder Petermann 1990), wird feststellen, daß über die hier ge­zeigten Designs hinaus eine Vielzahl von Varianten und Optionen zur Verfügung stehen. Alle dort gezeigten Vorschläge

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994

Franz B. Wember- Evaluation in Einzelfallstudien

genügen jedoch einem definitorischen Kern, der das wesentliche einer quasi­experimentellen Einzelfallanalyse um­schreibt: Eine quasi-experimentelle Ein­zelfallstudie ist eine empirische Studie analytischer Art, in der ein Phänomen durch systematische Variation von Be­dingungen unter approximativer Kon­trolle möglicher Störbedingungen an ei­ner oder wenigen experimentellen Ein­heiten intensiv studiert wird, wobei die Beobachtungen zumeist quantitativ aus­gewertet und möglichst zufallskritisch abgesichert werden. Wir wollen abschlie­ßend die interne und externe Validität solcher Forschung betrachten, d.h. wir stellen die Frage, ob sich Interventionen in Fallstudien überhaupt kritisch prüfen lassen und ob generalisierende Aussa­gen formuliert werden können, die über die konkreten Bedingungen der jeweili­gen Untersuchung hinausreichen und auf typische Situationen alltäglicher Berufs­praxis schließen lassen.

Die interne Validität einer Studie läßt sich nur über eine möglichst rigorose Kontrolle von Störvariablen sichern; da vollständige Bedingungskontrolle und somit echte experimentelle Forschung in aller Regel nur in hochkontrollierten Labors gelingen kann, muß man bei Feldforschungen fast immer von einer approximativen Bedingungskontrolle ausgehen und sich mit Quasi-Experi­menten zufriedengeben. Grundsätzlich gilt, daß eine aktive Bedingungskontrolle durch Erhebung von Vergleichsdaten und durch entsprechende Vorkehrungen im Forschungsprozeß bei Einzelfallana­lysen genauso möglich ist wie bei Grup­penvergleichsstudien. Statt vieler Perso­nen werden viele Meßzeitpunkte gewählt, und selbst Randomisierungsverfahren können unter bestimmten Bedingungen angewendet werden(Edgington 1980). Forschungsökonomisch kommt hinzu, daß eine oder wenige Versuchspersonen im Forschungsprozeß weitaus intensi­ver begleitet werden können als viele Versuchspersonen, so daß die Identifi­kation von Fehlerquellen in Fallstudien nicht seltener gelingen dürfte als in Stu­dien mit großen Stichproben. Schließ­lich und endlich ist die Frage, ob ein statistischer Test erfolgversprechend,

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