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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Ulrich Elbing und Ulrich H. Rohmann- Imitations- und Modellierungsprozesse in der Behandlung von Verhaltensstörungen geistig Behinderter

die Laute ihres Säuglings, indem sie die­se auf die Silbenlänge von Worten oder kurzen Sätzen kürzen oder die Intonation durch Anheben der Stimme gegen Ende der Lautreihe abwandeln. In gleicher Weise imitiert der Therapeut z.B. mo­noton erscheinende Lautfolgen des be­hinderten Interaktionspartners. Obwohl diese Ansätze in ihrem jeweili­gen theoretischen Bezugsrahmen inzwi­schen elaboriert und in der Ausgestaltung der therapeutischen Techniken aus­differenziert worden sind, so liegt je­doch bislang keine befriedigende empi­rische Evaluation der hierdurch erziel­baren Therapieeffekte vor. Kusch, Peter­mann, Hartmann& Rohmann(1990) legten eine interaktionsdiagnostische Evaluation der Aufmerksamkeits-Inter­aktions-Therapie nach drei Wochen in­tensiver Therapie vor. Katamnestische oder Verlaufsstudien wurden jedoch bis­her nicht durchgeführt; in der Literatur finden sich lediglich Fallberichte und einfache Fallstudien(z.B. Pohl-Kroll& Rüster 1993).

Die unten vorgestellten Befunde sollen einen Beitrag zur Aufarbeitung dieses Forschungsdefizits leisten.

Versuchspersonen und Behandlungsplan

Rohmann& Elbing(1992) haben die­sen Ansatz in den Rahmen einer Vier­Strategien-Konzeption zur Behandlung schwerer Verhaltensstörungen gestellt, die neben dieser Kommunikationsthe­rapie die erforderlichenfalls unmittelba­re Behandlung der Verhaltensstörung selbst, die Neuordnung von Anforde­rungsprofilen im pädagogischen Alltag sowie die Überarbeitung des engeren und weiteren pädagogischen Umfeldes in sy­stemischer Perspektive zum Gegenstand hat. In ähnlicher Weise hat Dosen(1993) unabhängig hiervon eine mehrgleisige Behandlungsstrategie entwickelt.

Im Rahmen eines Intensivtherapiepro­gramms zur Behandlung schwerer Ver­haltensstörungen bei Geistigbehinderten (Elbing& Rohmann 1992a; 1993) wur­den von 1987 bis 1992 insgesamt elf schwer verhaltensgestörte geistig Behin­

derte behandelt, von denen acht Fälle in Einzelfall-Längsschnittstudien doku­mentiert wurden. Tabelle 1 faßt Diagno­sen, Zielverhalten und Interventions­planung nach der Vier-Strategien-Kon­zeption zusammen(alle Namen sind ge­ändert).

Der Beginn der durchweg chronifizier­ten Störungsbilder wird in allen Fällen mindestens 2 Jahre vor Behandlungs­beginn berichtet. Wie aus der Tabelle ersichtlich, wurden in vier Fällen neben der Kommunikationstherapie keine sym­ptomorientierten einzeltherapeutischen Maßnahmen ergriffen, wogegen in den übrigen Fällen zusätzlich mit meist ver­haltenstherapeutischen Techniken am Problemverhalten selbst angesetzt wur­de. Diese Interventionsentscheidungen ergaben sich in jedem Einzelfall aus der Problemanalyse. In den beiden Fällen, in denen systemische Aspekte, die das Betreuerteam der Wohngruppe selbst be­trafen, nicht Gegenstand von Interven­tionen waren, waren die Betreuerteams aus unterschiedlichen Gründen nicht be­reit, sich dieser Perspektive zu öffnen. In den Fällen, in denen solche Interven­tionen indiziert und durchführbar wa­ren, wurden in der Supervision Inter­ventionen der Transaktionsanalyse an­gewendet.

Die Kommunikationstherapie wurde über drei Wochen mit 5 Sitzungen wö­chentlich begonnen und dann mit einer Frequenz von zwei Sitzungen(plus zu­sätzliche Sitzungen nach Bedarf) über ca. 3 Monate fortgeführt, worauf sie über weitere 2 Monate ausgeschlichen wur­den. Das Betreuerteam wurde hierbei schrittweise in der Rolle von Cothera­peuten in die Therapie eingeführt(zu Konzept und Vorgehen vgl. Elbing& Rohmann 1994). Ausgangspunkt der Kommunikationsentwicklung war das Spontanverhalten der Probanden, das im Falle autistischen Verhaltens aus stereo­typem Verhalten auf der Entwicklungs­stufe primärer Kreisreaktionen und im Falle psychotischen Erlebens aus aggres­siv-lärmendem Verhalten auf der Ent­wicklungsstufe sekundärer Kreisreak­tionen in der sensumotorischen Entwick­lung bestand(vgl. Rauh 1974). Der er­reichte Stand zu Therapieende korre­

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994

spondiert mit dem aktiven Sprachver­mögen; diejenigen, die die Stufe des Rollenspiels nicht erreichten, verfügen behinderungsbedingt über keine aktive Sprache,

Die Behandlung des Symptomverhaltens setzte zeitgleich mit Aufnahme der Kom­munikationstherapie ein, wogegen die Restrukturierung des Alltags wie auch die Bearbeitung der systemischen Aspek­te drei Wochen nach Therapiebeginn in Angriff genommen wurden. Grundsätzlich wurden bei allen Klien­ten Elemente der Kommunikationsthe­rapie in den Alltag eingeführt. Ebenso wurden bei allen Klienten die Gruppen­regeln und die Strukturierung des All­tags an den durch die Einzeltherapie erreichten Entwicklungsstand angepaßt. Stellvertretend für dieses Maßnahmen­bündel sind in der Tabelle nur die spezi­fischen Schwerpunkte des jeweiligen Falles benannt.

Die medikamentöse Behandlung ist an­dernorts dokumentiert(Elbing& Roh­mann 1993); Medikationsänderungen konnten als Ursache für beobachtete Verhaltensänderungen und somit als Störvariable ausgeschlossen werden.

Design und Datenerhebung

Die Studie ist als Serie von therapiebe­gleitenden Einzelfallstudien mit Längs­schnittbeobachtung angelegt, wobei die Überprüfung der Effektivität im vorexpe­rimentellen AB-Design mit baseline- und treatment-Phase erfolgt(vgl. Petermann 1982). Unter anderem wurde dieses De­sign im Hinblick auf die zu prüfenden Hypothesen und auf den geplanten Ein­satz von Randomisierungstests zur Über­prüfung der Hypothesen gewählt. Um interpretationsfähige Daten zu erhalten, wurden außerordentlich lange Erhe­bungszeiträume und nach Möglichkeit follow-ups in mehrjährigem Abstand gewählt. Das Design entspricht annä­hernd einer Blindstudie, weil die behin­derten Teilnehmer sich nicht selbst an­melden(können) und kognitiv die Be­deutung und Tragweite ihrer Anmeldung und Teilnahme am Therapieprogramm

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