Ulrich Elbing und Ulrich H. Rohmann+ Imitations- und Modellierungsprozesse in der Behandlung von Verhaltensstörungen geistig Behinderter
Veränderung der Interaktionsqualität auf seiten der Behinderten, die sich beispielsweise mit Hilfe der Piaget’schen Stadien der Spiel- bzw. kognitiven Entwicklung beschreiben lassen, wie dies in Tabelle 1 dargestellt ist.
Die Störvariable der PsychopharmakaEinnahme kann aufgrund der medizinischen Dokumentation in ihrem Einfluß gut abgeschätzt werden; deutlich wird jedenfalls, daß erfolgreiche Verläufe nicht auf den Einsatz von Medikamenten zurückzuführen sind. Im Einzelfall konnte vielmehr als Konsequenz des günstigen Verlaufs eine Reduzierung vorgenommen werden. Nach dieser Seite hin kann also die Validität als abgesichert gelten(vgl. Elbing& Rohmann 1993).
Maßnahmeneinsatz und Verhaltensänderung
Zunächst ist der Befund zu diskutieren, daß die zweite Hypothese beizubehalten ist. Wir sind der Auffassung, daß der gewählte Randomisierungstest schärfer den Effekt der einsetzenden Behandlung auf die Verhaltensentwicklung prüft als die üblicherweise in solchen Untersuchungen eingesetzten Verfahren wie beispielsweise varianzanalytische Prä-PostÜberprüfungen oder Mittelwertsvergleiche. Der Fakt einer signifikanten Verhaltensänderung wurde bereits mit der ersten Hypothese geprüft. Die zweite Hypothese prüft dagegen die Signifikanz des zeitlichen Zusammenhangs, was die gängigen Methoden nicht überprüfen.
Bis auf den Fall Gertrud liegt der theoretisch aus den Daten errechnete Behandlungsbeginn durchgängig bereits vor Aufnahme der Intensivtherapie. Damit wird ein Befund mehrfach bestätigt, der bereits in einer früheren Einzelfallstudie vorgelegt und diskutiert wurde (Rohmann, Elbing& Hartmann 1988). Die Hypothese beobachtungsbedingt verstärkter Zuwendung kann nicht befriedigen, denn gerade im Fall expansiver Verhaltensstörungen wäre durch vermehrte Zuwendung bei unveränderten Kontingenzen eher eine Störungszunahme zu erwarten. Eine Erklärung der
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vorliegenden Befunde bietet jedoch die systemische Perspektive, die davon ausgeht, daß Änderungen in Teilen des Systems ein neues Gleichgewicht im ganzen System erfordern und somit Änderung bewirken(Rotthaus 1989; 1990). Die Entscheidung des Betreuerteams zur Teilnahme an einem aufwendigen Intensivtherapie-Programm und die darauf folgenden vorbereitenden Arbeiten wie Besprechungen, Verhaltensbeobachtung, Problemanalysen können als die Änderung vermutet werden, die den systemischen Wandel nach sich ziehen. Über die Wirksamkeit von solchen Entscheidungsprozessen auch mit weniger weitreichenden Konsequenzen wurde bereits berichtet(Elbing& Rohmann 1992b; zur Erklärung der therapeutischen Wirksamkeit von Entscheidungen siehe auch Goulding& Goulding 1981). Die symptomatische verhaltenstherapeutische Behandlung stellt in dieser Sicht eine gezielte Fortführung und Intensivierung des geschilderten unspezifischen systemischen Effektes dar, der vorrangig in der Störungsreduzierung liegt. Komplementär hierzu hätten dann Kommunikationstherapie und Restrukturierung des Alltags vorrangig die Funktion alternativer Verhaltensentwicklung, indem sie angemessenes Verhalten entfalten und stabilisieren, wodurch ein höheres Entwicklungsniveau in der Auseinandersetzung mit der Umwelt erreicht wird. Dies entspricht sowohl dem Anspruch der eingesetzten Verfahren als auch dem eingangs zitierten Befund, daß Kommunikationsfähigkeit und Verhaltensstörungen im Verhältnis negativer Korrelation stehen.
Interventionsstrategie und Therapieerfolg
Vergleicht man auf diesem Hintergrund die Ergebnisse der Verhaltensbeobachtungen mit den Interventionsstrategien, die im Rahmen der Vier-StrategienKonzeption zum Einsatz kamen, so fällt zweierlei auf. Zum einen ist hinsichtlich auch des langfristigen Therapieerfolgs die Gruppe der vier Fälle, in denen auf eine symptomatische Behand
lung verzichtet wurde, in mehr als nur einer Hinsicht vergleichbar mit der Gruppe der vier Fälle, in denen das Symptomverhalten gezielt durch eine oder mehrere meist verhaltenstherapeutische Techniken zusätzlich zur Kommunikationstherapie behandelt wurde. Mit Sonja und Alex findet sich in beiden Gruppen ein Fall, in dem die Therapie insgesamt als Mißerfolg zu bewerten ist, auch wenn bei Sonja zunächst ein deutlicher Effekt nachzuweisen war. Weiterhin finden sich in beiden Gruppen mit Peter und Heiner Fälle, in denen der Therapieerfolg insgesamt als mäßig zu bewerten ist. Im Falle von Peter wirkt die Kommunikationstherapie etwa im Vergleich zu Max oder Gabi verblüffend spezifisch auf nur zwei Verhaltensbereiche. Im Falle von Heiner können zwar zunächst alle Grade der Eskalation erfolgreich behandelt werden, wobei nach vier Jahren der Erfolg bei den schwereren Eskalationsgraden nicht mehr nachzuweisen ist. Schließlich weisen beide Gruppen je zwei Fälle auf, in denen die Therapie als insgesamt und auch langfristig erfolgreich bewertet werden kann. Erfolg und Mißerfolg können innerhalb der präsentierten acht Fälle also nicht danach unterschieden werden, inwieweit das Problemverhalten selbst, das der Grund für die Aufnahme der Therapie war, gezielt mit verhaltenstherapeutischen oder anderen geeigneten Interventionen unmittelbar behandelt worden ist. Auffällig ist dagegen, daß hiervon unabhängig die systemischen Aspekte und deren Mitbehandlung eindeutig dem Erfolg oder Mißerfolg der Therapien zuzuordnen sind. Denn in den beiden genannten Fällen, die nicht erfolgreich behandelt werden konnten, war das Betreuerteam der Wohngruppe selbst nicht Gegenstand von therapeutischen oder supervisorischen Interventionen. In den übrigen Fällen, die mit mäßigem oder gutem Erfolg abgeschlossen werden konnten, war entweder das Betreuerteam Gegenstand von entsprechenden Interventionen, oder aber es war in einer Weise funktionsfähig, die keinen Anlaß für Interventionen bot.
Einen eindrucksvollen Beleg für die Bedeutung dieses Zusammenhanges bietet
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994