Thomas Breucker- Intervention zur Reduktion von stereotypem und selbstverletzendem Verhalten bei einer geistigbeh. Jugendlichen
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erschien es sinnvoll, die Musiktherapie „ausklingen“ zu lassen, um einen abrupten Wechsel zurück in die alltägliche Schulsituation zu vermeiden.
Untersuchungshypothesen
Ausgehend von den weiter oben dargelegten Überlegungen wurden folgende Untersuchungshypothesen formuliert:
Hypothese 1: Pädagogische Musiktherapie ist eine geeignete Intervention, um die Häufigkeit angemessenen Verhaltens (im Gegensatz zu stereotypem/ selbstverletzendem Verhalten) bei der Schülerin L. zu steigern
Zusätzlich wurde eine zweite UntersuCchungshypothese formuliert, die das Auftreten von Transfereffekten zum Inhalt hat; denn ohne die Annahme, daß sich der Erfolg pädagogischer und therapeutischer Maßnahmen nicht auf die Unterrichts- oder Therapiesituation beschränkt, sondern auch auf andere Situationen überträgt, läßt sich deren Einsatz kaum rechtfertigen.
Hypothese 2: Der während der Pädagogischen Musiktherapie erzielte Effekt (Steigerung der Häufigkeit angemessenen Verhaltens) überträgt sich auf andere Lernsituationen, was an einer Steigerung des angemessenen Verhaltens außerhalb der Musiktherapie ablesbar ist.
Design der Untersuchung
Ziel der Untersuchung ist es, Ausprägung und Veränderungen der abhängigen Variablen unter dem Einfluß der unabhängigen Variablen möglichst exakt zu erfassen. Da eine kontinuierliche Beobachtung und Protokollierung nicht möglich war, wurde ein Zeitstichprobenverfahren(„Partial-Interval-Time-Sampling“ nach Sulzer-Azaroff& Mayer 1986, 27) gewählt: In einem Beobachtungszeitraum von 30 Minuten, aufgeteilt in 10-Sekunden-Intervalle, wurde täglich erfaßt, ob das Problemverhalten innerhalb eines Intervalls auftrat oder nicht, unabhängig von seiner Dauer.
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Daraus wurde dann der Prozentsatz angemessenen Verhaltens(im Gegensatz zu stereotypem und selbstverletzendem Verhalten) errechnet. Aus praktischen Erwägungen sollte die Datenerhebung auf eine möglichst unaufdringliche und den Unterricht wenig störende Art und Weise geschehen. Aus diesem Grund wurden dem Versuchsleiter akustische Impulse über Kopfhörer eingespielt. Soziale Zuwendung und Pädagogische Musiktherapie wurden auf Video aufgenommen und nachträglich ausgewertet. Um sicherzustellen, daß die gewonnenen Daten reliabel sind und nicht allein Spiegelbild der Wunschvorstellung des Versuchsleiters, wurde jede dritte Videoaufnahme zusätzlich von einer weiteren Person ausgewertet(Kazdin 1982, 48ff.). Das Untersuchungsdesign war als präexperimentelles A-B-C-Design(ohne Replikation) geplant; A kennzeichnet die Kontrollphase, B die soziale Zuwendung und C die Pädagogische Musiktherapie. Parallel sollte durch Kontrollreihen, die 30 Minuten vor Beginn der Intervention (Kontrollreihe 1), direkt im Anschluß an die Intervention(Kontrollreihe 2) und 60 Minuten nach der Intervention(Kontrollreihe 3) erhoben wurden, überprüft werden, inwieweit es zu Transfereffekten kommt(vgl. Hypothese 2). Mit Blick auf die spätere Analyse eventueller funktionaler Beziehungen zwischen unabhängiger und abhängiger Variablen ist dieses Design vergleichsweise schwach: die fehlende Replikation erschwert die Interpretation der Ergebnisse, da die Wirksamkeit von Störfaktoren nicht ausgeschlossen werden kann. Es wurde dennoch gewählt, weil es angesichts des Problemverhaltens weder aus ethischer noch aus pädagogischer Sicht gerechtfertigt erschien, eine möglicherweise erfolgreiche Intervention aus methodologischen Gründen abzubrechen.
Bei der Durchführung ergaben sich im Design Änderungen hinsichtlich zweier Phasen, der sozialen Zuwendung(B) und der Pädagogischen Musiktherapie(C), so daß sich das der Untersuchung zugrundeliegende Design wie folgt darstellt: Zu Beginn der Untersuchung wurde über einen Zeitraum von 12 Tagen die Grundrate angemessenen Verhaltens
(im Gegensatz zu stereotypem und selbstverletzendem Verhalten) erhoben. Der so ermittelte Ist-Zustand liefert die Grundlage, auf der die Wirksamkeit der folgenden Intervention(en) beurteilt werden kann. Daten wurden täglich, jeweils für eine halbe Stunde lang, zu verschiedenen Zeitpunkten und in verschiedenen Unterrichtssituationen, erhoben, um einen möglichst repräsentativen Querschnitt einer Schulwoche zu erhalten, da eine Vielzahl von Umweltfaktoren das Auftreten stereotypen und selbstverletzenden Verhaltens beeinflussen können(Hettinger 1990, 1991). Die Interventionsphase Soziale Zuwendung erstreckte sich über einen Zeitraum von 7 Tagen und fand, abweichend von der Planung, nicht in der Schule, sondern während einer Klassenfahrt statt. Im Verlauf der sich anschließenden Interventionsphase Pädagogischen Musiktherapie erkrankte die Schülerin für eine Woche, so daß sich zwei Interventionsphasen C 1(10 Tage) und C 2(15 Tage) ergeben, unterbrochen von einer Phase (A)(5 Tage), in der keine Intervention stattfand. Beim endgültige Design handelt es sich folglich um ein intraindividuelles Replikationsdesign mit folgender Phasenabfolge: A(B) C1(A) C2 (Wember 1989).
Dieses Design ist im Vergleich zum ursprünglich geplanten sehr viel aussagekräftiger, da durch das Aussetzen der Intervention in Phase(A) eine Replikation des Interventionseffektes möglich wird. Dies setzt allerdings voraus, daß es nicht zu starken Transfereffekten zwischen aufeinanderfolgenden Phasen kommt. Schwierigkeiten ergeben sich für die Phase B, da mit Beginn der Intervention nicht nur der Faktor „Soziale Zuwendung“ einsetzt, sondern gleichzeitig auch der potentielle Störfaktor„Klassenfahrt“.
Ergebnisse
Die mittlere Ausprägung der abhängigen Variablen in den einzelnen Phasen wurde, da die Daten nicht normalverteilt sind, mit Hilfe des Median(Md) dargestellt(Bortz 1989; vgl. Tabelle 1).
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994