Thomas Breucker- Intervention zur Reduktion von stereotypem und selbstverletzendem Verhalten bei einer geistigbeh. Jugendlichen
plötzliche Abnahme angemessenen Verhaltens in Kontrollreihe 1 am fünften Tag, die sich abgeschwächt auch in den anderen Kontrollreihen findet. In den Kontrolldaten zur Pädagogischen Musiktherapie 2 zeigt L. häufiger angemessenes Verhalten als während der vorausgegangenen Phasen(sozialen Zuwendung, Pädagogischen Musiktherapie 1), wenngleich sich dieser Effekt in den letzten drei Tagen etwas abschwächt, ein Trend der im Gegensatz zur Pädagogischen Musiktherapie steht. Dort nimmt die Häufigkeit stereotypen und selbstverletzenden Verhaltens in den beiden letzten Sitzungen noch einmal deutlich ab. Die starken Schwankungen in den Meßdaten der Intervention finden sich nicht in den Kontrollreihen.
An dieser Stelle stellt sich nun die Frage, ob die Unterschiede zwischen den einzelnen Phasen als signifikant zu bezeichnen sind? Da eine Aussage auf Grundlage der einzelnen Meßwerte schwer fällt, bedient man sich eines einzelnen Wertes, der das Niveau der Grundrate repräsentiert, des Medians (Md). Verlängert man den Median über die Grundrate hinaus, so müßten, sollte die Nullhypothese„Es gibt zwischen Grundrate und der Interventionsphase keine Unterschiede‘ zutreffen, auch in der Interventionsphase etwa gleich viele Werte oberhalb wie unterhalb des verlängerten Medians liegen. Um beantworten zu können, ob die Unterschiede zwischen Grundrate und Intervention als
signifikant zu bezeichnen sind, wurde ein Binomial-Test herangezogen(Bortz, Lienert& Boehnke 1990). Die einseitigen Überschreitungswahrscheinlichkeiten P für gegebene n- und x-Werte lassen sich bei Bortz u.a.(ebd., 628ff.) nachschlagen.
Für ein Alpha-Niveau von 5%(P< 0,05) ergeben sich, wie in Tabelle 2 abzulesen ist, für die soziale Zuwendung und die dazugehörigen Kontrollreihen keine signifikanten Veränderungen. Die Nullhypothese kann beibehalten werden. Für die Pädagogische Musiktherapie 1 und 2 und den dazugehörigen Kontrollreihen ergeben sich jeweils signifikante Veränderungen. Die Nullhypothese muß verworfen werden.
Da Hypothese 1(s.o.) auf der Grundlage von zwei Signifikanztests(für Pädagogische Musiktherapie 1 und 2) und Hypothese 2 auf der Grundlage von sechs Signifikanztests(Kontrollreihen 1-3 für Pädagogische Musiktherapie 1 und 2) geprüft wird, ist es ratsam, einen Agglutinationstest vorzunehmen, um auch über die globale Hypothese auf einem Alpha-Niveau von 5% zu entscheiden. Dies ist mit Hilfe des schon erwähnten Binomial-Tests möglich(Bortz, Lienert& Boehnke 1990, 48ff.). Für die Hypothese 1 ergab sich eine Wahrscheinlichkeit von P_.= 0,0025(P= 0,05; n= 2; x= 2), für Hypothese 2 eine Wahrscheinlichkeit von P_= 0,0001(P= 0,05; n= 6; x= 6) für einseitige Hypothesen(ebd., 628). Auf einem Signifi
Tabelle 2: Überschreitungswahrscheinlichkeit P für die einzelnen Phasen der Intervention und der Kontrollreihen 1-3(Binomialtest, einseitige Fragestellung)
n= Anzahl von Meßpunkten in der jeweiligen Phase
x= Anzahl von Meßpunkten in der jeweiligen Phase oberhalb des Grundraten-Medians
Soziale
Zuwendung Intervention n=7
x= 6
P= 0,0625* Kontrollreihe 1 n= 7 (30 Min. vor der Intervention x= 1 Kontrollreihe 2 n= 7 (im Anschluß an die Intervention) x= 0 Kontrollreihe 3 n= 7 (60 Min. nach der Intervention) x= 0
Pädagogische Pädagogische Musiktherapie 1 Musiktherapie 2 n= W0 n= 15
x= 10 x-= 15
P= 0,0010* P=&*
n= 10 n= 15
x= 10 X= 14
P= 0,0010* P= 0,000S* n= 10 n= 15
x= 10 x= 13
P= 0,0010* P= 0,0037* n= 10 nn= 15
x= 10 X= 14
P= 0,00010* P= 0,0005*
* füreinseitige Hypothesen
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kanzniveau von 5% können somit beide Hypothesen global als nicht widerlegt gelten.
Diskussion und Interpretation
Wie die statistische Analyse der Daten zeigt, ist es im Verlauf der Untersuchung bei L. zu einer signifikanten Steigerung der Häufigkeit angemessenen Verhaltens gekommen; beschränkt man sich bei der Interpretation auf die während der Intervention gewonnen Daten, so kann Hypothese 1 als bestätigt gelten. Ebenso scheint Hypothese 2 bestätigt, da die Kontrollmessungen ebenfalls signifikante Veränderungen ergaben. Der Interventionseffekt hat sich also nicht auf die Therapiesituation beschränkt, sondern es ist auch zu Transfereffekten gekommen. Dies ist insofern von Bedeutung, als gerade in der Arbeit mit geistig behinderten Menschen Transfereffekte keineswegs zwangsläufig auftreten(Bach, 1979; Snell, 1987).
Aus methodischer Sicht ist das Aussetzen der Pädagogischen Musiktherapie aufgrund von L.s Krankheit von besonderer Bedeutung. Es bot die Möglichkeit, den Einfluß von Störfaktoren, die mit dem Einsetzen der Intervention in Zusammenhang gebracht werden könnten, anhand einer Replikation zu kontrollieren. Der Datenverlauf unter Interventionsbedingungen macht deutlich, daß es gelungen ist, den Interventionseffekt intraindividuell zu replizieren und somit eine funktionale Beziehung zwischen abhängiger und unabhängiger zu demonstrieren.
Als für die Einschätzung der Wirksamkeit Pädagogischer Musiktherapie problematisch erweisen sich die in Kontrollreihe 1 gewonnen Daten; denn es zeigt sich, daß L. bereits 30 Minuten vor der ersten Musiktherapiesitzung häufiger angemessenes Verhalten zeigte als während der Grundrate, ein Effekt, der nicht auf die Pädagogische Musiktherapie zurückgeführt werden kann. Der Effekt der Pädagogischen Musiktherapie scheint also mit einem anderen, allgemeinen Effekt konfundiert zu sein. Dennoch hat die Pädagogische Musikthera
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994