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Heilpädagogische Forschung : Zeitschrift für Pädagogik und Psychologie bei Behinderungen
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Thomas Breucker- Intervention zur Reduktion von stereotypem und selbstverletzendem Verhalten bei einer geistigbeh. Jugendlichen

pie vermutlich einen wichtigen Beitrag zur Verringerung stereotypen und selbst­verletzenden Verhaltens bei L. geleistet, dies legen die deutlichen Unterschiede in der Effektstärke zwischen sozialer Zu­wendung und Musiktherapie nahe. Ge­spräche mit den Lehrerinnen und den Eltern, die der sozialen Validierung dienten, zeigten, daß sich auch ihrer Ein­schätzung nach die Häufigkeit stereoty­pen und selbstverletzenden Verhaltens deutlich verringert hatte. Darüber hin­aus zeige L. sich selbstbewußter, initiiere häufiger Kontakte zu Mitschülern und ­schülerinnen und sei insgesamt ausge­glichener. Dies ist insofern von Bedeu­tung, als daß die Erkenntnisse aus der statistischen Analyse nicht zwangsläu­fig mit der Einschätzung signifikanter Bezugspersonen übereinstimmen müs­sen(Kazdin 1982).

Relativ wenige Aussagen können jedoch darüber gemacht werden, welche Fakto­ren der Pädagogischen Musiktherapie im einzelnen die Veränderung hervorgeru­fen haben. Faktoren, die das Ergebnis der Untersuchung möglicherweise be­einflußt haben könnten, umfassen u.a. L.s besondere Beziehung zur Musik, die Ähnlichkeit der musikalischen Handlung mit ihren Stereotypien, die sensorische Stimulation durch die Instrumente, die intensive Beschäftigung mit einem Er­wachsenen oder die Person des Versuchs­leiter.

Der Versuch, den Einfluß der sozialen Zuwendung genauer zu analysieren, ist nur näherungsweise geglückt, da mit Einsetzen dieser Intervention zeitgleich auch ein potentieller Störfaktor, die Klassenfahrt, einsetzte. Es ist letztlich also nicht möglich, gesicherte Aussagen über den Einfluß der sozialen Zuwen­dung auf stereotypes und selbstverlet­zendes Verhalten bei L. zu machen. So ist es z.B. denkbar, daß die Klassenfahrt in so starkem Maße zu einer Steigerung von stereotypen und selbstverletzenden Verhaltens geführt hat, daß mögliche Effekte der sozialen Zuwendung über­deckt wurden. Die Tatsache, daß die Häufigkeit angemessenen Verhaltens

während der Kontrollreihen niedriger als während der Grundrate war, scheint dies zu unterstreichen. Andererseits zeigt sich hier wie auch bei der späteren Erkran­kung der Schülerin, daß die gewählte einzelfallanalytische Methode flexibel eingesetzt werden kann und sich inso­fern gerade zur praxisbegleitenden Eva­luationsforschung eignet.

Ausblick

Am Beginn der beschriebenen Untersu­chung stand der Anspruch, empirisch­analytisches Vorgehen und Einfühlendes Verstehen im Rahmen einer quasi-expe­rimentellen Einzelfallstudie sinnvoll mit­einander zu verbinden, um so den An­spruch einzulösen, Einzelfallforschung seipraktische,(...), wissenschaftlich redliche und im wörtlichen Sinne son­derpädagogische Forschung(Wember 1989, 186). Empirisch-analytisches Vor­gehen spiegelt sich insbesondere im Auf­bau der Untersuchung und der statisti­schen Analyse der Daten wieder, Einfüh­lendes Verstehen in der Tatsache, daß sowohl die Wahl des Problemverhaltens sowie die Interpretation der gewonne­nen Daten einer sozialen Validierung unterzogen wurden und eine funktionale Analyse stereotypen und selbstverletzen­den Verhaltens an den Anfang der Un­tersuchung gestellt wurde. Zumindest einige der von Schlosser& Goetze (1991) sowie Scotti et al.(1991) kritisier­ten Schwächen vorhandener Studien konnten so hoffentlich vermieden wer­den. Immerhin wurde der Forderung nach einer funktionalen Analyse Rech­nung getragen, wurden Kontrolldaten er­hoben und die Ergebnisse einer sozialen Validierung unterzogen.

Pädagogische Musiktherapie konnte im Fall der Schülerin L. einen wirkungs­vollen Beitrag zur Verringerung stereo­typen und selbstverletzenden Verhaltens leisten. Dieses Ergebnis scheint mit Blick auf die Forschung insofern bedeutsam, als z.Z. überwiegend auf aversive Ver­fahren zurückgegriffen wird(Schlosser

HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994

& Goetze 1991; Scotti et al. 1991). Pä­dagogische Musiktherapie bietet hier möglicherweise für einige Schüler und Schülerinnen eine menschlichere, so­wohl pädagogisch als auch ethisch zu vertretende, Alternative. Um jedoch zu verallgemeinerbaren Aussagen zu kom­men, wird es notwendig sein, die Ergeb­nisse dieser Untersuchung aufzugreifen und in weiteren Untersuchungen abzu­sichern. Wünschenswert wäre es, dann auch im Rahmen eines Follow-Up zu überprüfen, wie lange die Interventions­effekte nach Beendigung der Interventi­on anhalten. Im Fall von L. gab es zwar Gespräche mit den Lehrerinnen, die an­deuteten, daß der Interventionseffekt auch nach Beendigung der Intervention noch einige Zeit anhielt; diese Aussa­gen sind allerdings nicht mit Daten be­legt. Desweiteren erscheint es sinnvoll, in folgenden Untersuchungen die Rah­menbedingungen in stärkerem Maße als dies in dieser Untersuchung geschehen ist, zu berücksichtigen, um so diffe­renziertere Aussagen über Einflußfak­toren machen zu können. Dazu gehören z.B. die Frage, welche Rolle die emo­tionale Bindung des Schülers zur Musik spielt, ob ähnliche Ergebnisse auch in Gruppenmusiktherapie hätten erzielt werden können, oder welche Rolle die soziale Zuwendung gespielt hat.

Daß Pädagogische Musiktherapie als In­tervention bei stereotypem und selbst­verletzendem Verhalten ausgesprochen wirkungsvoll sein kann, hat die quasi­experimentelle Analyse des hier doku­mentierten Falls gezeigt; ob sie in allen pädagogisch interventionsbedürftigen Fällen Erfolg verspricht, bzw. in wel­chen Fällen, wird weitere Forschung klä­ren müssen. Aus methodologischer Sicht ist hoffen, daß die vorgelegte Studie ei­nen Beitrag dazu leisten kann aufzuzei­gen, daß quasi-experimentelle Einzel­fallstudien in der Tatpraktische,(...), wissenschaftlich redliche und im wörtli­chen Sinne sonderpädagogische For­schung(Wember 1989, 186) sein kann und in stärkerem Maße als bisher Be­rücksichtigung finden könnte.

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