Buchbesprechungen
Stahlmann, M.: Die berufliche Sozialisation in der Heimerziehung. Erziehende im Spannungsfeld von Grenzsituationen, Leitbildern und Berufsbiographie. Beiträge zur Heil- und Sonderpädagogik, Haupt: Bern/ Stuttgart/Wien 1993, 213 Seiten, DM 27,—.
Das Ziel des Buches von Stahlmann ist es, die derzeitige berufliche Situation von Heimerziehern theoretisch und empirisch in den Griff zu bekommen. Da Veränderungen im Berufsfeld der Heimerziehung nicht unabhängig von gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozessen zu sehen sind, stellt er unter Berufung u.a. auf Ulrich Beck die Thesen vom Individualisierungsschub und der Pluralisierung der Lebensformen in den Mittelpunkt seiner theoretischen Überlegungen und begründet auch mit den Folgen, die sich hieraus für das Individuum ergeben(Ambivalenzen und Konflikte im individuellen Lebenslauf), seine biographische Vorgehensweise. Berufliche Sozialisation wird hier nicht mehr allein durch Ausbildung definiert, sondern durch die Tätigkeit im Heim, durch die Entwicklung von Persönlichkeitsstrukturen in Auseinandersetzung mit den Bedingungen des Arbeitsprozesses. Methodologisch orientiert sich Stahlmann am interpretativen Paradigma(S. 17) und verweist insbesondere auf eine Arbeit von Wilson aus dem Jahre 1980. Dies ist allerdings verwirrend, denn gemeint ist ein Artikel von Wilson aus dem Jahre 1973, wie aus dem Kontext hervorgeht. Anfang der 80er Jahre hatte Wilson seine methodologische Grundposition bereits erheblich geändert, wie man im Heft3 der KZfS 1982 nachlesen kann.
Inhaltlich stehen vor allem zwei Themen im Mittelpunkt des Buches, und zwar die Leitbilder und die Grenzsituationen in der Heimerziehung. Auf der Grundlage ausführlicher Literaturrecherchen wird die Geschichte der Heimerziehung vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart durch die Vorstellung der jeweils dominanten Leitbilder(vom„christlich-caritativen“ Leitbild bis zum„Lernhelfer‘“) nachgezeichnet. Ebenso aufschlußreich ist die Schilderung biographisch relevanter Situationen oder auch Grenzsituationen. Durch die Thematisierung von Rollenkonflikten, Arbeitszeit und Schichtdienst, Nähe und Distanz, Beruf und Privatleben
bekommt der Leser einen guten Einblick in die derzeitige Situation des Tätigkeitsfeldes Heimerziehung.
Der empirische Teil des Buches beginnt mit relativ ausführlichen Darstellungen zur Forschungsmethodologie. Es wird sowohl der hier verwendete biographische Ansatz begründet als auch näheres zu den Erhebungstechniken im engeren Sinne, dem problemzentrierten Interview und der Gruppendiskussion ausgeführt. Die Datenbasis ist allerdings recht schmal, was aber in der qualitativen Sozialforschung heute nicht gerade unüblich ist. Die Argumentation stützt sich auf den Ergebnissen von lediglich einer Gruppendiskussion und drei Interviews.
Die Ergebnisse werden in Form von Zitaten aus den Erhebungsprotokollen präsentiert, die dann unter Bezugsnahme auf den theoretischen Teil kommentiert werden.
Die so gewonnenen Ergebnisse bestätigen im wesentlichen die theoretischen Annahmen. Die Tendenzen von Individualisierung und Pluralisierung machen sich auch im Berufsfeld der Heimerziehung bemerkbar. Die alten Leitbilder haben ihre allgemeine Verbindlichkeit verloren und müssen durch individuelle lebensgeschichtliche Deutungsmuster ersetzt werden. Diese entstehen vor allem durch die biographische Verarbeitung der Erfahrungen in den Grenzsituationen durch die handelnden Individuen selbst. Welche Widersprüche und Konflikte dabei entstehen, wird durch die Interviewprotokolle eindrucksvoll dokumentiert.
Mit seinem Buch ist es Stahlmann gelungen, die aktuellen Probleme aufzuzeigen, die im Berufsfeld der Heimerziehung aufgrund allgemeiner gesellschaftlicher Wandlungsprozesse entstanden sind.
Abschließend soll noch angemerkt werden, daß Stahlmann nicht eine dieser schwer lesbaren Schreibweisen verwendet, die Männer und Frauen in gleicher Weise berücksichtigt. Mit der Begründung, daß in der Heimerziehung überwiegend Frauen tätig sind, ist das Buch nur in der weiblichen Form geschrieben.
Literaturhinweise
Wilson, Th.(1973): Theorien der Interaktion und Modelle soziologischer Erklärung, in: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen(Hrsg.): Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche
HEILPÄDAGOGISCHE FORSCHUNG Band XX, Heft 3, 1994
Wirklichkeit, Bd. 1, Reinbek: Rowohlt.
Wilson, Th.(1982): Qualitative„oder“ quantitative Methoden in der Sozialforschung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Heft 3: 487-508.
Prof. Dr. Gerd Laga, Hannover
Brügge, W.& Mohs, K.: Therapie funktioneller Stimmstörungen. Übungssammlung zu Körper, Atem, Stimme. Ernst Reinhardt Verlag: München/Basel 1994.
In diesem Buch— das sich als Übungskompendium versteht— werden funktionelle Stimmstörungen nicht vom Standpunkt diagnostisch/therapeutischer Grundlagen her betrachtet oder eingeführt. Kenntnisse bzgl. Genese, Abgrenzung, Symptomatik und Problematik funktioneller Stimmstörungen sind unabdingbare Voraussetzung. Von daher wendet es sich an AdressatInnen(z.B. LogopädInnen, SprecherzieherInnen, StimmtherapeutInnen), die ein vorhandenes Kenntnisgebiet erweitern, evtl. praktische Übungsmöglichkeiten hinzulernen und/oder in eigene Konzepte integrieren möchten.
Hierzu bietet das vorliegende Buch einen breiten Fundus an Übungen, die sich auf mehrere, miteinander integrativ verbundene Therapiebereiche beziehen.
Die zugrundeliegende Konzeption ist die, daß die Stimme als Teilbereich in das Gesamt der körpereigenen Wahrnehmungsbereiche integriert ist und demnach Körperarbeit den ersten Baustein für Therapieinhalte darstellen muß, und zwar vor der Stimmbildung als solcher im zweiten, sowie deren Transfer und die Stabilisierung in Alltagssituationen im dritten Schritt.
Wert wird von seiten der Autorinnen auch auf die in therapeutischen Aktivitäten oft vergessene Akzeptanz der angestrebten Übungen auf seiten der Klienten gelegt, so daß eine gemeinsame Zielplanung folgerichtig auch die Wahl der Therapieinhalte bestimmt bzw. individuell variiert.
Konkret zeigt sich eine Übungsfolge dergestalt, daß z.B. im Bereich I: Selbstwahrnehmung von„Wahrnehmung der Körperhaltung“ über„Schulung der auditiven Wahrnehmung“,„Zusammenhang Körperhaltung
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