10 Fontane Blätter 101 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Mauthner, als Autor von ›Berliner Romanen‹ gewissermaßen sein Konkurrent, der ihm auch persönlich nicht so recht lag, war für Fontane im Vergleich mit Lübke der ungleich schwierigere ›Fall‹: »Er ist ein kluger und geistvoller Mann, aber es gibt einen seidenen Zeugstoff, den man, glaub ich, Changeant nennt. Es sieht ganz gut aus, aber man weiß nicht recht, ist es grün oder rot oder braun. Mauthner beschwört immer was herauf; aber wenn man eben sagen will: ›Erlauben Sie mal‹, ist er schon wieder weg. Für eine etwas langsame und schwerfällige Natur, wie die meine, ist das störend. Ich komme zu keinem rechten Vergnügen. Mauthner ist der splendideste Gastgeber, aber auch zugleich der routinierteste Kellner, der einem den Teller schon wieder wegnimmt, wenn man eben anfangen will.«(An O. Brahm, 3. 12. 93) 9 Die Korrespondenz zwischen Fontane und Lübke ist allerdings zum größten Teil nicht überliefert. Das Hanser-Briefverzeichnis zählt nur vier, zum Teil noch unveröffentlichte, im vorliegenden Zusammenhang jedoch uninteressante Briefe. Das reicht dem Umfang nach noch nicht einmal an die verschiedenen Toaste heran, die er Lübke aus Anlass von Ellora- und Familienfestlichkeiten widmete, vom Austausch über die literarische Produktion zu schweigen. Fontane ist seiner Freundespflicht in wiederholten Besprechungen kunsthistorischer Publikationen Lübkes sowie dessen Lebenserinnerungen gefolgt. Praktisch rezensierten sie sich wechselseitig, wobei Fontane fachspezifisch von Lübkes Auffassungen abhängig blieb. Mithin darf als sicher gelten, dass ihre Korrespondenz erheblich umfangreicher war als nachweislich ist, für die Chronik fehlte es aber an entsprechenden Belegen, und dies besonders, seit Fontane auf tägliche Eintragungen im Tagebuch zugunsten von Sammeleinträgen verzichtete. Mit den Briefen an Lübke gingen auch seine Stellungnahmen zu dessen Auslassungen und die damit verbundenen Selbstäußerungen über die eigenen Werke größtenteils verloren. Dies mag nicht zuletzt dazu beigetragen haben, dass eine Rezension wie die hier erörterte rezeptionsgeschichtlich nur wenig Beachtung fand. Kam noch anderes hinzu? Verzichtete man darauf, sich auf diese Rezension zu beziehen, weil es nicht lohnte oder man sie sogar für kontraproduktiv ansah? Unverständlich wären solche Überlegungen wohl nicht. Lübkes mit allen einschlägigen rühmenden Beiwörtern rundum gesalbter Text ist nicht jedermanns Sache; ein allergisch Betroffener mochte zuletzt Fontane als zweiten Verursacher verdächtigen. Ein Zeitdokument hat sein eigenes Recht und ist als solches zu respektieren, aber zuletzt wird alles Vergangene zum Dokument und um eine Auswahl kommt man gar nicht herum. Man kann nicht alles(nach)drucken, muss es auch nicht, wenn ein besser geeignetes Beispiel zur Verfügung steht. Hatte Lübke denn etwas Neues geschrieben, was nicht auch anderswo zu lesen stand? Das ist allerdings nicht immer leicht zu entscheiden, weil sich das Neue oft unauffällig
Heft
(2016) 101
Seite
10
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten