»Man kann sich kaum größere Gegensätze denken …« Nürnberger 11 einstellt, sozusagen auf Taubenfüßen. Man könnte in solchem Zusammenhang Lübkes Vergleich der märkischen Landschaft mit Bildern der holländischen Malerei nennen, die Beobachtung eines Kunsthistorikers. An opportunen Meinungsklischees, wiederholt reine Werbeware und bereits ihrerseits der Literatur entnommen, fehlt es in beiden Teilen der Doppelrezension nicht. Die der ›preußischen‹ Stoffwelt zuzuordnenden ( Irrungen, Wirrungen) scheinen die harmloseren; man wird sich schnell über sie einig sein, so simplifizierend werden sie präsentiert: junge märkische Adlige – wie Rienäcker, der für sie als Beispiel dienen soll –, liebenswürdig und warmherzig –, ihre Kameraden schlankweg»ritterlich« und die einfachen Leute stets zufrieden, auch wenn das Glück einer Begegnung mit den Höhergestellten begreiflicherweise nicht dauern kann. Zumindest auf den ersten Blick braucht man sich um dieses Land und seine Menschen keine Sorgen zu machen. Das lässt sich von dem Bild, das Lübke von Mähren entwirft, nicht sagen. Zwar begegnet der Leser nicht jener»viehischen Brutalität«, in der Zola»in einem seiner garstigsten und grobschlächtigsten Romane den französischen Bauer gezeichnet hat«(nicht nur dieser, auch der Naturalismus wird französisch verortet), die»Feinheit weiblicher Beobachtung« verbunden mit»männlicher Kraft der Schilderung«, die Ebner-Eschenbach auszeichnen, läßt aber auch in Mähren unerträgliche Missstände erkennen. Es fehlt dazu nicht an ›völkischen‹ und konfessionellen Ausdeutungen des Rezensenten, die der zugrunde liegende Romantext jedoch schwerlich legitimiert. Wirkt im ersten Teil der Rezension die wiederholt hervorgehobene ›Einfachheit‹ der Lebensverhältnisse und Denkweise der von Fontane geschilderten Figuren etwas zu arg- und komplikationslos, so tritt im zweiten Teil an die Stelle Ebner-Eschenbachs wissender Empathie ein Element von Belehrung und Rechthaberei. Die so selbstsicher wie aufdringlich vorgebrachten Äußerungen zur Rückständigkeit des römischen Katholizismus lassen an den nicht lange zurückliegenden Kulturkampf denken. Im päpstlichen Rom wie im republikanischen Frankreich handelt es sich zudem um ›welsche‹, mithin ›undeutsche‹ Mächte, was nicht ausgesprochen, aber als fremd spürbar ist. Direkter wird von Lübke das slawische Element in den von Marie Ebner gezeichneten Charakteren und im Leben des Volkes ver zeichnet, das der Dichterin gemäß ihrer eigenen frühen Erfahrungen(die tschechischen Kinderfrauen, die Dienerschaft) nahe war. Wachsendes Verständnis für die sozialen Verhältnisse, genährt auch durch literarische Erfahrungen hatten ihre kindliche Sympathie zu einer als verpflichtend verstandenen aber auch willig gelebten humanen Bringschuld reifen lassen. Lübke scheint eher etwas wie einen Gleichklang zwischen ›rassischer‹ und religiöser Inferiorität zu spüren. In Mähren, wo »deutsches und slawisches Wesen sich vielfach durchkreuzen«, herrsche namentlich»in dem niederen Volk jener starke slawisch-katholische
Heft
(2016) 101
Seite
11
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