Heft 
(2016) 101
Seite
12
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12 Fontane Blätter 101 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes ­Grundzug« vor,»der auch in den Hauptpersonen dieser Geschichte zum Ausdruck kommt.« Die Gutsherrin, die die Schwester Pavel Holubs Or­densfrauen zur Erziehung übergibt, ist aus Sicht der Erzählerin keines­wegs nur eine»guthmütige, aber beschränkte alte Dame«, über Klöster und Klosterfrauen mag diese Erzählerin nicht alles offenbart haben, was sie denkt, aber diese ihr auch spirituell vertraute Lebenswelt nur als»bor­niert-fanatisch« kennzeichnen, wie Lübke das tut, wollte sie sicherlich nicht. In der stummen Unterwerfung der Mutter des Gemeindekinds unter die rohe Gewalt ihres Mannes kündige sich, erwägt Lübke,»vielleicht et­was Slawisches« an, eine so vage wie vieldeutig-gefährliche Beobachtung. Es scheint, dass Standesunterschiede in zwei verschiedenen Ländern zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen, in dem einen nach heiter­alltäglichen Zwischenspielen zur Rückkehr der ›Ordnung‹ und allseitigem Einverständnis, in dem anderen zu einem Kampf fast aller gegen alle; ab­gehoben Schloss und Kirche, im Dorf bitterste Armut und Unterdrückung auch in der Familie, stumme Unterwerfung. Und darin liegt nun»vielleicht etwas Slawisches«? Merkwürdig, dass es gerade daran liegen soll, an Wenden(Slawen) fehlte es, soweit sie die Kolonisation überlebt haben, auch im späteren Preußen nicht. Der muntere Berliner Menschenschlag, wie Fontane ihn kannte, war auch nicht eben rein germanisch. Es soll kei­neswegs schlecht geredet werden, was Lübke referiert, sein Verständnis reicht nur nicht soweit wie das der Autoren, die er bespricht. Gelegentlich spürt man den preußischen Schulmeister, der bekanntlich auch die Schlacht bei Königgrätz gewonnen hat. Die Ebner wird als die»edle österreichische Dichterin« gerühmt, in der»Reihe jener deutsch-österreichischer Schrift­steller, die auf dem deutschen Parnaß einen Ehrenplatz einnehmen«, sie wird gelesen»soweit die deutsche Zunge reicht« gewiss, aber welch bes­tenfalls naive Überbetonung! Der weltläufig erzogenen Adligen, die als Autorin zwar neben Turgenjew vor allem deutschen Vorbildern ver­pflichtet war, konnte nichts fremder sein, als ihr der Aufklärung verpflich­tetes Gedankengut in nationale, konfessionelle oder gar rassistische Rhe­torik und Überlegenheitsgesten umgemünzt zu finden. Die deutsche Sprache erlernte die geborene Baronesse Dubský von T ebomyslice, väter­licherseits aus mährischem Uradel, erst nach tschechisch und französisch, französisch lauteten auch ihre ersten Gedichte. 10 Wenn es nur bei den genannten Missverständnissen und Ressenti­ments geblieben wäre und sie sich nicht so schleichend ausgebreitet hät­ten! Es mag genügen, an das Bild Polens in Gustav Freytags Roman Soll und Haben zu erinnern, der in keinem deutschen Bürgerhaus fehlte. Der grassierende Ungeist wirkte zuletzt wie eine Epidemie. Es war keine sol­che, es war Menschenwerk, eine politische Krankheitsmetaphorik erklärt die Vorgänge nicht, die nachschaffende Ratio erbringt ein besseres ­Verständnis. Die Überwältigung der Zeitzeugen durch das, was sie