Heft 
(2016) 101
Seite
14
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14 Fontane Blätter 101 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes unter diesem Aspekt ließe sich wohl darüber streiten, ob es unerlässlich sei, Lübkes Rezension als ein Dokument der Rezeptionsgeschichte ein wei­teres Mal zu drucken. Die Entscheidung fiel dennoch nicht schwer, da es sich bei Fontanes ›Partnerin‹ in dieser Doppelbesprechung um Marie von Ebner-Eschenbach handelt, deren Name nur selten in Verbindung mit Fontane erscheint und an deren hundertsten Todestag zu erinnern ist. Die Literaturgeschichts­schreibung entwirft unvermeidlich ein anderes Bild einer Epoche, als die kannten, die in ihr gelebt haben. Es gibt große Autoren, die zu ihrer Le­benszeit kaum bekannt wurden, und umgekehrt solche, deren einstiger Ruhm bis zu völliger Vergessenheit verblasst ist. Aber die Arbeitsplätze der wenigen Autoren, die mit ihrem Werk eine Epoche dauerhaft verkörpern, schwebten auch seinerzeit nicht in den Wolken. Zunächst waren auch sie aus irdischem Material gefertigt worden, umgeben von tausend anderen, an denen ebenfalls gearbeitet wurde, wenn auch mit ungleich gering­ erer Wirkung. Nicht anders steht es mit dem Netzwerk menschlicher Beziehun­gen. Unter günstigen Umständen lässt es sich provisorisch wie­der­her­stellen, vollständig nicht. Ihren Anlagen gemäß tendierte auch die Ebner zur Novelle(Storms »Schwester des Dramas«), mit Das Gemeindekind war ihr jedoch eine ver­gleichsweise umfangreiche Erzählung gelungen, die später als eines ihrer Hauptwerke gelten sollte. Ein Urteil Fontanes über sie aus eigener Lektüre ist nicht bekannt. Lübke hat Marie Ebners Begabung und Kunst angemes­sen gewürdigt, obgleich er auch damit vielleicht nur der Zeitstimmung folgte, die ihn in diesem Fall aber glücklich beriet. Er räumt ihr in seiner Doppelrezension den ersten Platz ein. Wie Fontane hatte auch sie sich erst spät der Erzählprosa als der ihr vorrangig gemäßen Kunstform zuge­wandt, nicht wie dieser überwiegend aus wirtschaftlichen Gründen, son­dern weil sie sich zu lange vergeblich als Dramatikerin versucht hatte. Die­sen Irrweg hatte sie mit nicht wenigen ihrer damaligen Kollegen gemein, die sich aber zumeist schneller zu befreien gewusst hatten im Falle Fontanes­und seines Carl Stuart handelte es sich um ein eher unbedeuten­des Zwischenspiel, nur Ferdinand von Saar war in vergleichbarer Weise gescheitert, für Marie Ebner bedeutete der viele Jahre währende Misser­folg eine nahezu vernichtende Lebenskrise. Im von Vorurteilen nicht freien Bewusstsein von Kritik und Öffentlichkeit handelte es sich um das Desas­ter einer adligen Dilettantin, für ihr Selbstverständnis das ärgste und wohl auch ungerechteste Urteil, das ihr widerfahren konnte, hatte sie doch nicht mit den Privilegien ihres Standes gespielt, sondern sich durch ihre offen vorgetragene Adelskritik auch das Unverständnis der eigenen Fami­lie zugezogen( Das Waldfräulein, 1873). Die überströmende Dankbarkeit, die in ihren zahlreichen Briefen an Julius Rodenberg, den Herausgeber der Deutschen Rundschau, der sie klug förderte, zum Ausdruck kommt, zeigt,