Heft 
(2016) 101
Seite
15
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»Man kann sich kaum größere Gegensätze denken« Nürnberger 15 welch Schwierigkeiten sie zu überwinden hatte, lässt aber auch ihre Wil­lensstärke erkennen. Schneller als der um ein Jahrzehnt ältere Fontane hat sie, wesentlich mit Hilfe der Deutschen Rundschau, in der sie bereits 1875 aufmerksam rezensiert wurde, die Anerkennung der Kritik und ein dank­bares Publikum gewonnen( Bo ž ena[1876]; Lotti, die Uhrmacherin[1880]; Dorf- und Schloßgeschichten[1883]). Für Rodenberg wiederum»war die Einbeziehung und Darstellung des österreichischen Kultur- und Geistesle­bens[] von Anfang an ein Hauptpunkt seiner Konzeption. Als es um die Namensgebung der neuen Zeitschrift ging, hatten er und Auerbach vorü­bergehend an den Titel Berlin und Wien gedacht.« 12 Die der Niederlage Ös­terreichs im Krieg gegen Preußen 1866 folgende Trennung Deutschlands von Österreich, durch Bismarcks Reichsgründung in Versailles 1871 besie­gelt, führte zunächst nicht zu einem Auseinanderstreben der deutschspra­chigen Literaturen, sondern zu einer gegenläufigen Bewegung und Roden­berg tat alles ihm Mögliche, den geistigen Zusammenhalt zu wahren. Wie die schweizerische Literatur durch Keller und Meyer, war die österreichi­sche in der Rundschau durch Ebner-Eschenbach vertreten, die mit ihren Beiträgen viele Österreicher mit dieser Zeitschrift überhaupt erst bekannt machte. Übrigens war 1887 in solchem Zusammenhang ein guter Jahr­gang: Neben Irrungen, Wirrungen und Das Gemeindekind erschien, im Vorabdruck in der Rundschau und als Buch, auch noch C. F. Meyers kunst­schöne historische Novelle Die Versuchung des Pescara. Welche Verschie­denheit des Gleichzeitigen,»Gideon ist besser als Botho« und Meyers ver­dächtige Brokatprosa. Würde Lübke auch diese Dichtung besprochen haben, so hätte er noch entschiedener titeln können, das passe nicht zu­sammen. Welche Kunst der Schlusssätze! 13 Marie Ebner möchte man in ihrer besonderen Rolle als Frau, als Aris­tokratin, als Österreicherin unter denen, die glaubwürdig in der deutsch­sprachigen Literatur den ›Realismus‹ repräsentieren, nicht missen. Was die erstgenannte ›Rolle‹ anbetrifft, so hat sie das Problem am kürzesten in einem ihrer trefflichen Aphorismen abgehandelt.»Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde alle dummen Männer.« 14 Sie hat ihren Stand und seine unverdienten Vorrechte gegebenenfalls schonungslos preisge­geben( Er lasst die Hand küssen, 1886). Sie ist keine Revolutionärin, das alte Österreich und sein Kaiser sind ihr teuer, aber sie mahnt, ihrem christlich geprägten Gerechtigkeitsgefühl entsprechend, bestehendes Unrecht mit einer Entschiedenheit an, die ihresgleichen sucht. Ihren Standesgenossen hat sie mit dem, was sie schrieb, gründlich missfallen. Entsprechenden Un­willen zog, wie bekannt, zuzeiten auch Fontane auf sich, aber der Protest der ›Gräfin‹ wog im Verständnis der Betroffenen ungleich schwerer. In ih­rem Fall handelte es sich nicht um einen dem adligen Selbstgefühl letztlich doch fremden Schriftsteller, sondern um eine Ebenbürtige und für man­che um eine nahe Verwandte. Zu entwaffnen war dieser couragierte ­Insider