Heft 
(2016) 101
Seite
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»Man kann sich kaum größere Gegensätze denken« Nürnberger 17 Klammer hinzu:»Unbeachtet dürfen hier jene Darstellungen bleiben, die die Dichter aus dem alten oder dem neuen Österreich einfach in ein vorge­gebenes protestantisch-preußisches Schema zwingen wollen: Die beim Ordnen einer norddeutsch-protestantischen Literatur gewonnenen und benutzten Kategorien lassen sich nicht auf die süddeutsch-katholische übertragen.« 19 Mochte man vor einigen Jahrzehnten noch schreiben, die österreichi­sche Erzählkunst des 19. Jahrhunderts gliche einem zum Teil verwilderten Garten, so wird man inzwischen hinzuzufügen haben, es sei gründlich aufgeräumt worden. Es geht um die Spanne»zwischen Witiko und jungem Wien«, die Karl Konrad Polheim auch in repräsentativen Darstellungen der Epoche vernachlässigt sah und ihn veranlassten, in zwei Reihen Kritische Texte und Deutungen, speziell relevante Werke Ferdinand von Saars und Marie von Ebner-Eschenbachs in wissenschaftlichen Ausgaben, die Text­kritik und Deutung verbinden, für weitere Forschungen zur Verfügung zu stellen. 20 Die Editionsprinzipien stimmen für beide Reihen überein. Erar­beitet wurden jeweils ein kritischer(Varianten-)Apparat, Dokumentation zur Text- und Wirkungsgeschichte, eine Bibliographie und eine ausführli­che Interpretation. Freilich, wo außerhalb der gelehrten Welt sind die Nut­zer? Die Lebensdaten der Ebner 1830 1916 entsprechen denen ›ihres‹ Kai­sers Franz Joseph von Österreich, der 68 Jahre regiert hat und bei dessen Tod mitten im Ersten Weltkrieg die Kräfte dieses Vielvölkerreiches tat­sächlich am Ende waren. Der folgende Zusammenbruch zwei Jahre später besiegelte das Schicksal von Millionen, die noch lange darüber hinaus Ver­folgung, Krieg und Vertreibung erlitten. Die folgenden Jahrzehnte veran­schaulichten nur zu deutlich, was das Fehlen der Donaumonarchie als Ord­nungsmacht für die Territorien des bis dahin zweitgrößten Reiches in Europa bedeutete: Zu Beginn der 1940er Jahre befanden sie sich nahezu vollständig in der Gewalt Hitlerdeutschlands, wenige Jahre später fast im selben Umfang in der der Sowjetunion. Wie der Autor des Stechlin im kurzlebigen Hohenzollernreich war auch Marie Ebner Dichterin einer Spätzeit. Dem äußeren Eindruck nach mochte man sich darüber täuschen können. Wirtschaftlich, wissenschaftlich, kul­turell erlebten beide Staaten eine Blütezeit, das in Versailles gegründete, aufstrebende ›junge‹ Kaiserreich naturgemäß in anderer Weise als das mit seinen Nationalitätenproblemen beschwerte, zunehmend zur Untätigkeit verurteilte Reich der Habsburger. Ungewarnt ließen die Künstler die Men­schen aber nicht, auch Irrungen, Wirrungen kann als Mahnung gelesen werden. Die Gespräche der Offiziere im Kasino der Gardes du Corps sind denen der Gensdarmes, eines anderen berühmten preußischen Regiments, das 1806 ruhmlos die Waffen streckte, nicht unähnlich. Der(leider nicht vollständig) veröffentlichte Briefwechsel der Ebner mit ihrem Hausarzt Josef Breuer 21 gewährt einigen Aufschluss, wie»die