20 Fontane Blätter 101 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Sie blieb, aus gutem Grund, mit ihrer Stoffwelt(vorzugsweise, nicht durchgehend) in Mähren und ihrer mit dieser Region verbundenen ›Dorf- und Schlossgeschichten‹ von denen, dem Charakter nach, auch das Gemeindekind eine ist; ein Roman nur insofern, als ein ungleich größeres Figurenpersonal aufgeboten wird. Verließ sie diese ihre Heimatregion, etwa zugunsten des benachbarten Kronlands Galizien, geriet ihr die soziale Anklage gegen die polnischen Magnaten fast noch schärfer als die gegen die heimischen Feudalherrn( Der Kreisphysikus). Stets pflegte sie auch die Kunst der Zuspitzung, wie sie sie vom Drama her kannte und, wo immer es sich anbot, die des dialogischen Erzählens, dem, spannungsgeladen wie es war, ebenfalls eine gewisse Bühnenwirkung innewohnte. 28 Ohne weiteres wird man dabei an Fontane denken, der ebenfalls solche Dialog-Novellen erprobte( Eine Frau in meinen Jahren etc.), besonders aber die mehrstimmige Gesprächs szene pflegte, wie sie ihm wiederholt auch so vollendet gelangen, dass man ihnen Lustspielrang nicht absprechen wird. Zuweilen aber verengen sich solche Gesprächsszenen wieder zu(kämpferischen) Dialogen, denen die anderen Beteiligten amüsiert lauschen, und die sie, wenn es genug ist, eventuell geschickt beenden. Erfahrung und Menschenliebe zeichneten die ›Gräfin‹ aus. Hatte die nicht auch der märkische Wanderer indirekt zu Hilfe gerufen, um seine historischen Landschaften in ein freundlicheres Licht zu setzen?»Das Beste aber, dem du begegnen wirst, das werden die Menschen sein« 29 . Auch Marie Ebner und Fontane waren sich gar nicht so fremd, wie das Titelzitat glauben machen könnte. Das gilt auch für ihr satirisches Talent, das sie als Autoren des Realismus allenfalls zu mäßigen vermochten, was ihm aber sehr gut bekam. Beide – Fontane 1894, Ebner-Eschenbach 1906, also fast im selben Alter – veröffentlichten auch Erinnerungen: unter demselben Haupttitel Meine Kinderjahre. Fontane ergänzte: Autobiographischer Roman; Marie Ebner Biographische Skizzen. Der aufgeweckte Apothekersohn am Bollwerk von Swinemünde träumt von England und moderner Technik, gelegentlich vom versunkenen Vineta; Geschichtsprofessor wäre auch sein Fall. Die Magnatentochter im feudalen Mähren ist eine»so kühne wie gewandte Reiterin«, aber ihre Wünsche im Burgtheater galoppierten noch schneller, der»Shakespeare des XIX. Jahrhunderts« und noch anderes will sie werden. Was sie zuletzt wurden, wissen wir ja, aber der Weg dahin, ver(un)ziert auch mit mancher Legende, ist studierenswert.
Heft
(2016) 101
Seite
20
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