Heft 
(2016) 101
Seite
33
Einzelbild herunterladen

Marie von Ebner-Eschenbach zum 100. Todestag  Fischer 33 Wenn es auch an direkter Berührung fehlt, scheinen sich doch dem ver­gleichenden Blick manche Parallelen und Verknüpfungen zu erschließen: Ähnlichkeiten und Korrespondenzen in Themen und literarischen Mus­tern, Strukturen und Figuren. Auf diesem Wege könnte die Forschung weiter vorangehen, sie könnte sich aber auch der Frage zuwenden: Was geschieht, wenn die Erzählwelten von Schriftsteller und Schriftstellerin ineinandergreifen, wenn in Graf Petöfy Wien und die Doppelmonarchie zum Schauplatz werden und Fontane dazu ein adliges Milieu konstruiert, das Ebner-Eschenbach bis ins Detail geläufig war? Dieser naheliegenden Frage ist, soweit zu sehen, noch niemand nachgegangen, obwohl sie reiz­volle Kontraste und erhellende Einsichten verspricht. Anton Bettelheim(1851–1930) hat schließlich eine andere Gemeinsam­keit hervorgehoben: »Auf Altersstufen, auf denen andere verdämmern, zu schreiben aufhö­ren, fing sie, wie Theodor Fontane, als Siebzigerin erst recht an, mit Gaben zu überraschen, die der Vierzigerin selbst ihre treuesten Anhänger nicht zugetraut hätten. Fast ein Dutzend Bände hat sie vom 70. bis zum 85. Jahr vollendet, darunter nicht ein Blatt, das sorgfältigster Feile entbehrte[,] und manche ihrer größten Treffer.« 17 Vor einhundert Jahren, am 12. März 1916, ist Marie Freifrau von Ebner­Eschenbach, geborene Gräfin Dubsky, im Alter von 85 Jahren in Wien ge­storben. Sie wurde in der Familiengruft der Dubsky in Zdislawitz in Mäh­ren beigesetzt. Nachdem ihr Mann Moritz Freiherr von Ebner-Eschenbach, Feldmarschall-Leutnant(entspricht in der preußisch-deutschen Rangord­nung dem Generalleutnant), Professor der Naturwissenschaften, Kompo­nist und Schriftsteller, im Januar 1898 gestorben war und ein längerer Rom-Aufenthalt hinter ihr lag, leistete sie bald mit einer Ausnahme auf größere Reisen Verzicht. In ihren letzten Lebensjahren spielte die engere Verwandtschaft, ihre»Familie«, eine besondere Rolle. Nach 1905 teilte sie im wesentlichen »ihren Aufenthalt zwischen Wien, wo sie mit Gräfin Marianne Kinsky, der unvermählten Tochter ihrer älteren Schwester Friederike, nur den klei­neren Teil des Jahres im dritten Stockwerk des Hauses Nr. 1 Spiegelgasse, Ecke des Grabens, wohnte[,] und den mährischen Gütern Zdislawitz, das ihrem Bruder Adolf Dubsky gehörte[,] und Löschna, dem Stammsitz seiner Tochter Gräfin Marie Kinsky-Dubsky.[...] Bruder Adolf und Neffe Victor Dubsky wetteiferten, die Wohn- und Arbeitsräume der Dichterin in ihrem Heim schlicht und gediegen einzurichten, elektrisches Licht einführen, immer neue Uhren zu stiften.« 18 Die Beziehungen zu Löschna waren nicht weniger eng als die zu Zdisla­witz, so dass tatsächlich alles ›in der Familie‹ blieb. 19 Marie Kinsky und ihr Bruder Victor Dubsky in Zdislawitz(1868–1932) haben der Tante an ihrem Lebensabend sogar ihre ›Handschrift‹ geliehen: