44 Fontane Blätter 101 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte das institutionelle Zentrum des zentral organisierten Preußenstaates entwickelte. Es muss vor fast 200 Jahren in Berlin eine ähnliche Entwicklung gegeben haben wie wir sie aktuell erleben, wenn man die fehlende industrielle Wertschöpfung ausklammert. Der Kaufmann Wiesike sah, wie gegenwärtig internationale Investoren, das zu einer prosperierenden Großstadt ein exponentielles Bevölkerungswachstum ebenso gehört wie eine diesbezügliche Bauwut. Wohnungsbau und Infrastruktur entwickelten sich aus den Bedürfnissen einer entstehenden Metropole. Wiesike investierte in eine Torfanlage und Ziegelei in Plaue an der Havel, nahe der Stadt Brandenburg, und legte damit die Basis für alle weiteren wirtschaftlichen Aktivitäten, die ihm später die finanzielle Unabhängigkeit garantierten. Unternehmer wie Wiesike gingen übrigens in die Berliner Mundartgeschichte als ›Ziegelbarone‹ ein. Als Fontane fünfzig Jahre später 1874 erstmalig bei Wiesike am Plauerhof weilte, schrieb er begeistert an seinen Freund Alexander Gentz, dass er hier»von dem Terrain eines Torflordes a.D. an einen noch im Dienst befindlichen, nämlich an Sie, einen Gruß gelangen« lasse, weil er»hier zwei, drei höchst angenehme Tage verlebt, die mich an die Tage mit Ihnen am Molchow- und Zermützel See und dann in Gentzrode selbst lebhaft erinnert haben«. 2 Wer das Gelände Gentzrode in Neuruppin und seine Geschichte kennt, möchte retrospektiv Fontane anraten, dass er den Herren Gentz auch das Geschäftsgebaren von Wiesike empfehlen möchte. Denn im Gegensatz zu jenem gingen diese 1880 in Konkurs. Die geplante komplette Umgestaltung des Gutes in einen Park mit Schloss und Mausoleum und die Errichtung des Herrenhauses nach Entwürfen von Martin Gropius und Heino Schmieden im Stile des orientalisierenden Historismus überstiegen die veranschlagten Baukosten erheblich. Wiesikes ›Herrenhaus‹, seine Parkgestaltung und die seines Grabmals machten ihm nicht nur viel Freude,sondern sie erhöhten noch den Wert seines Anwesens. Bevor sich Wiesike der Gestaltung von Park und Grabmal widmete, toppte er seine erste Investition, indem er das sein Grundstück großflächig umgebende, direkt an der Havel liegende Sumpfland meliorierte. Das heißt, er legte das Land nicht nur trocken, sondern er machte es besonders fruchtbar, indem er den natürlichsten Dünger, den es gibt – nämlich Dung, und zwar Pferdedung – großflächig aufbrachte und somit ein für unbrauchbar geltendes Brachland in ›blühende Landschaften‹ verwandelte. Der unternehmerische Clou bestand darin, dass seine Ziegel-Havelkähne, die leer aus Berlin zurückkamen, Pferdemist aus den Kavalleriekasernen von Potsdam nach Plaue transportierten und dieser dann direkt vom Havelufer auf das meliorierte Land verteilt wurde. Verständnisvoll berichtet Fontane in den Fünf Schlössern über Wiesikes Investition: »Daß dies alles von den Um- und Anwohnern Plaues als weggeworfenes Geld, als Übermut und Unsinn bezeichnet und belacht wurde, bedarf
Heft
(2016) 101
Seite
44
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten