»Ist mir aber ein Apostel!« Müller-Seyfarth 45 selbstverständlich keiner Versicherung. Wann wäre es anders gewesen? Das Lachen aber war bald auf Wiesikes Seite. Hand in Hand mit den Meliorationen ging ein Ziegeleibetrieb und Torfstich, wozu das ziemlich ausgedehnte Terrain ebenfalls das Material hergab, und[es] erwiesen sich halb unwirtbare Strecken, die seit Menschengedenken für so gut wie wertlos gegolten hatten, als ein wertvoller Besitz«. 3 Der glückliche und von Wiesike nicht vorhersehbare Umstand, dass er das günstige Erbpachtland durch Umwidmung später relativ preiswert erwerben konnte, komplettierte seinen unternehmerischen Erfolg. Doch nicht sein beeindruckender, selbsterworbener Wohlstand macht Wiesike zu einem Unikat unter den Wohlhabenden, sondern welche Konsequenzen er nach erlangtem Reichtum zog. Ihn interessierte kein ›Immer Mehr‹, kapitalistischer Gier zog er soziale Verantwortung vor, statt Anhäufung von Statussymbolen nutzte er seine Möglichkeiten, um soziale, homöopathische, ästhetische und philosophische Interessen auszuleben. Diese wiederum nicht egomanisch, sondern im Austausch mit Gleichgesinnten und zum Nutzen für diese und Bedürftige besonderer Art. Wiesike, selbst kinderlos, überließ in der Mitte seiner fünfziger Jahre dem Neffen Hermann Wiesike die Geschäfte und zog sich in sein noch zu gestaltendes Haupthaus, die ›Villa Wiesike‹, zurück und widmete sich in den folgenden über 25 Jahren uneingeschränkt seinen intellektuellen Interessen. Vorher allerdings beschäftigte er sich neben seinen wirtschaftlichen Aktivitäten mit einer für einen Torflord, Ziegelbaron und Gutsbesitzer ungewöhnlichen Lehre: der Homöopathie. Er und seine Frau Juliette suchten die persönliche Bekanntschaft mit dem Gründer der damals angefochtenen Heilslehre, dem seinerzeit in Köthen/Sachsen-Anhalt praktizierenden Samuel Hahnemann. Sein Verhältnis zu Hahnemann spiegelt der folgende, erstmalig veröffentlichte Brief Wiesikes: »Hochgeehrter Herr Hofrath Wohlgeborner Herr, Wenn ich auf Ihr letztes geehrtes Schreiben bisher nicht antwortete, so werden Sie daraus den guten Erfolg Ihrer Kur vielleicht selbst geschloßen haben und zwar mit Grund, denn bereits seit 4 Monaten sind alle Krankheitssymptome verschwunden, nachdem das letzte, die weißlich belegte Zunge, einer Gabe Sepia wich, die ich mir im Besitz vieler homöopathischer Arzeneien, selbst gereicht hatte. – Nicht unterlassen kann ich es jedoch Ihnen verehrtester Herr Hofrath meinen innigsten Dank abzustatten nicht sowohl für die mir von Ihnen gewordene ärztliche Behandlung als für den menschenfreundlichen Rath, Ihre erfundene Kunst zu studieren u. auszuüben. Stets wird mit der glückliche Moment gegenwärtig bleiben der mich Sie kennen lernen ließ u. mich zu Ihnen führte. Schon manchen Dank erntete ich für meine wenn auch noch schwache Erkenntniß den ich aber mit Freuden dem zurückgebe dem er gebührt, Ihnen ist ja die ganze Menschheit verpflichtet. – In der Ueberzeugung, daß Sie mir eine stille Theilnahme an den freudigen
Heft
(2016) 101
Seite
45
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