Heft 
(2016) 101
Seite
51
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»Ist mir aber ein Apostel!« Müller-Seyfarth 51 Lebzeiten erwehrte weil seine Ethik eben im Gegensatz zu dem sonst ver­ehrten Kant keine Moral lehre, kein Imperativ, also keine Ethik des Sollens betreibt, sondern nur eine Antwort auf die Frage nach dem guten Handeln lieferte und demzufolge mitnichten in eine normative Heuristik ausläuft, wirkt Fontanes Charakterisierung erhellend:»Wiesike hatte das Mitleid, und half immer wieder, wo Hilfe verdient war.« 25 Wiesikes Empathie be­ruhte nicht auf der Lektüre Schopenhauers, sondern sein humanes Enga­gement basiert auf einer Grunderkenntnis, die schon Jahrzehnte vor seiner Schopenhauerkontamination sein Handeln grundierte. Wie Hahnemann achtete Schopenhauer auf die Sicherung seiner Unab­hängigkeit, die ihm sein vom Vater ererbtes Geldvermögen ermög­lichte, er nutzte es aber im Unterschied zu Wiesike zur Ausarbeitung, vor allem aber zur Verbreitung seiner Philosophie. Er übernahm die Druckkosten der ersten beiden Auflagen seiner Werke ebenso wie er die Möglichkeiten zu diesbezüglichen Rezensionen schaffen musste. Deshalb ermunterte und motivierte er stets die Anhänger seines Denkens, apostolisch zu agieren. Mit wachem Blick auf die Rezeption seiner Philosophie bemühte sich Ar­thur Schopenhauer, diese zu systematisieren. Seine Zuordnungen der An­hänger und Schüler in Jünger, erster Schüler, Doctor infatigabilis, Apostel, gelehrteste Apostel, tiefsinniger Apostel, Apostel Johannes, alter Apostel, eifriger Apostel, neuer Apostel, neues Apöstelchen,(Julius Frauenstädt: apostolus activus, militans, strenuus et acerrimus), Evangelist, möglicher Evangelist, angehender Evangelist, aktiver Evangelist, eigentlicher kano­nischer Evangelist, Urevangelist, Erz-Evangelist, Haupt-Evangelist, tätiger Evangelist etc. belegen beredt sein tiefes Bedürfnis, schulbildend zu wir­ken. 26 Als 1855 ein»Urevangelist«, der Justiz- und Oberlandesgerichtsrat Friedrich Dorguth, 77jährig starb, beklagte Schopenhauer den»schmerz­lichen Verlust«, den»die Schule« 27 erlitten habe. Die gleichzeitig strikte ­Segregation seitens der akademischen Philosophie konterkarierte seine stete Förderung von Apologeten. Die Hauptmultiplikatoren der frühen ­Schopen­hauerrezeption kamen nicht aus der Universitäts-Philosophie. Es waren Denker wie Wiesike, die sich mit(Schopenhauers) Philosophie beschäftigten und deren Motivation sich nicht aus ihren Brotberufen her­leiten ließ. Trotz Schopenhauers ständigen Bemühungen, deren Multi­plikatorenfunktion zu unterstützen, hätte er sich einer universitären Aufmerksamkeit gegenüber seiner Philosophie nicht verschlossen. Trotz aller Kritik an den Akademien sah er auch in den Gelehrten Adressaten seines Denkens. Unschwer ist das aus dem Briefwechsel mit Wiesike her­auszulesen: »Sie haben indeß Ihre Güte, so wie auch die reiche Gabe Ihrer Schriften an keinen Undankbaren verschwendet, denn gern bekenne ich, noch aus keinem Buche oder von irgend einem Menschen so viel gelernt zu haben. Es hat aber auch wohl noch Niemand so deutlich& gründlich geschrieben