Heft 
(2016) 101
Seite
52
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52 Fontane Blätter 101 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte & Ihrem Genie war es vorbehalten, einen Gegenstand,& zwar die Grund­lage alles Verstehens& aller Wissenschaft, auch uns Laien zugängig ge­macht zu haben.« 28 Schopenhauer ist amüsiert und verwundert. Seinem Adlatus und weiteren Urevangelisten Julius Frauenstädt schreibt er über Wiesikes Huldigung: »[] aber der Humor der Sache ist dieser, daß wo man hinhorcht, man sogleich überall solche Stimmen vernimmt. Der Schluß des Briefes des Wiesike ist eben nur dadurch merkwürdig, daß er[] es rühmt, daß meine Philosophie auch den Ungelehrten zu Gute kommt. Und doch habe ich bloß für Gelehrte geschrieben. Aber es geht in Erfüllung,[], meine Bücher w[e]rden bald in den Händen aller Gebildeten seyn, und dann würde meine Lehre ins Volk dringen. Das sind große Dinge! und wir sehens. Die Verle­genheit der Philosophieprofessoren wird immer größer. Sie sollen sehn, die Guten«. 29 Wiesike hatte einen erheblichen Anteil an der schopenhauerschen Volksbildung. Seine Funktion in der Verbreitung der Schopenhauers Phi­losophie bestand im Wesentlichen in der Schaffung eines außeruniversitä­ren Netzwerkes. Sein Bedürfnis, sich mit Gleichgesinnten persönlich in Verbindung zu setzen, kommt ihm hier zugute. Die profunden Kenntnisse der Philosophie Schopenhauers sowie der Besitz von außergewöhnlichen Gegenständen und Handschriften aus dem Besitz Schopenhauers, über die Fontane 30 und Carl von Gersdorf, ein seit Studientagen in Leipzig mit Nietzsche bis zu seiner Erkrankung befreundet, berichten, sind für Wiesi­kes apostolische Bestrebungen von Vorteil. Schopenhauers charakterliche Schwächen übersah er jedoch großzügig:»›Wo viel Licht ist, ist viel Schat­ten. Er hielt es für seine Pflicht, über diese Schatten hinwegzusehen, und wenige Philosophen(auch die größten mit eingerechnet) wird es gegeben haben, die sich rühmen dürfen, in gleicher Weise gekannt, studiert und auswendig gelernt worden zu sein.« 31 Stellt Fontane Wiesike als bestinformierten Schopenhauerrezitator vor, so kann von Gersdorf von Diskussionen berichten, in denen Wiesike mit Zitaten aus Schopenhauers Dissertation Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde seinen Gesprächsgegner attackiert. Bei seinem ersten Besuch im Sommer 1868, den er einem mit ihm in Berlin befreundeten Neffen Wiesikes verdankte, erlebte Gersdorf einen ausgelas­senen und beredten Hausherrn. Ein anwesender Doktor der Philosophie wurde von Wiesike intellektuell in die Schranken gewiesen; Wiesike hatte wohl Schopenhauers Eristische Dialektik aus den Parerga oder die von Frauenstädt besorgte Nachlaßausgabe diesbezüglich studiert. Von Gers­dorf berichtet begeistert seinem Freund Friedrich Nietzsche von der Dis­putation bei Wiesike:»Den jungen Dr. phil bekam er beim Kragen mit der Frage: Was ist Philosophie? Worauf dieser anfieng zu salbadern und nun