Heft 
(2016) 101
Seite
56
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56 Fontane Blätter 101 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte Schopenhauer entging keineswegs Wiesikes Enthusiasmus. So informier­te er 1855 Frauenstädt über Wiesikes Porträterwerb und dessen beabsich­tigte Hängung: »Mein Bild ist fertig und verkauft. Wiesike hat sich zu rechter Zeit ein­gefunden und hat es von der Staffelei weggekauft für 250 fl. Das Unerhör­teste aber ist, daß er mir und dem Maler sehr ernsthaft gesagt hat, er wol­le für dieses Bild ein eigenes Haus bauen, darin es hängen soll! Das wäre dann die erste mir errichtete Kapelle. Recitativo:»Ja, ja! Sarastro herrschet hier.« Und Ano 2100? Einliegend Huldigungsschreiben und Distichen vom Pfarrer Grimm Remittenda! Gestern besuchte mich ein Kreisrichter Voigtel aus Magdeburg, durch Dorguth proselytirt, erst 28 Jahr alt, voll Eifer für den Herrn und sein Evangelium.« 39 Der christologische Jargon Schopenhauers ist nicht ganz so ironisch gemeint, wie man es von einem praktizierenden Atheisten erwarten wür­de. Der Überzeugung, selbst der Gründer einer Ideenlehre zu sein, die sich eigentlich zwangsläufig verbreiten müsste, wenn man ihr nur genug vorur­teilslose Aufmerksamkeit schenken würde, ist Schopenhauers Anlehnung an Religionsgründer geschuldet. Dass sein Ehrenpokal 10 Jahre später zum Mittelpunkt eines quasi sakramentalen Abendmahls mit Epistel und Präfation werden würde, war für den ruhmsüchtigen Schopenhauer durchaus denkbar. In seiner Darstellung über den Erhalt des Pokals an August Becker, den Mainzer Juristen und ›gelehrtesten Apostel‹, be­schreibt er einige Tage nach seinem 70. Geburtstag seine Freude über das Geschenk: »An meinem Geburtstage sind 7 Gratulationen in Briefen eingelaufen, sehr artig, alle: aber Wiesike auf Plauenhof in Brandenburg, der Besitzer meines Oel-Porträtts hat einen mächtigen silbernen Pokal, Fuß hoch, eine Art Kommunionkelch, eingesandt, schön gemacht, in Berlin, darauf mein Name u. Geburtstag, u. auf der andern Seite: ›Nur die Wahrheit hält Stich: Sie allein beharrt: Sie ist der unzerstörbare Diamant. Habs annehmen müßen. Ist mir aber ein Apostel! Was sind die andern dagegen?« 40 Ein Jahr später revanchierte sich Schopenhauer mit der Übersendung der Neuausgabe seines zweibändigen Hauptwerkes. Fünf von den zehn Freiexemplaren wurden von Brockhaus direkt an»David Asher, Julius Frauenstädt, E.O. Lindner, Julius Bahnsen« und»C.G. Bähr« verschickt. Wiesike aber bekam seine Exemplare mit Widmung vom Meister direkt zugesandt, worin Schopenhauer»dieses Exemplar als ein Zeichen[s]einer Dankbarkeit und Ergebenheit« 41 Wiesike verehrte. Umgehend antwortet Wiesike in seiner gegenüber intellektuellen Autoritäten devoten Art: