58 Fontane Blätter 101 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte und Vollender« 46 bezeichnen ließ, erkannte in Hahnemanns alternativ-medizinischem similia similibus das dialektische Urprinzip:»Das Identische ist das in sich selber Widersprechende«. Die Realdialektik»theilt überdies in ihrem individualistisch-pluralistischen Element mit der Homöopathie die gemeinsame Behauptung von der einheitlichen Substantialität des organischen Individuums« 47 . Letztlich wäre noch die Frage nach einer Transformation von Hahnemann über Wiesike zu Fontane zu stellen. Wiesike unterzeichnete in seinem Brief an Hahnemann 1831 sowie im letztzitierten an Schopenhauer von 1859 im Abspann mit großem D und kleinem r und einem Punkt dahinter. In einigen, nicht allen Briefen an Schopenhauer, kehrt dieses Kürzel, nicht vor dem Namen sondern immer eine Zeile davor, auf. Es war eine damalige Konvention, Ergebenheit durch Dienerschaft(Dr) zu bekräftigen. Keinesfalls stehen Dr für einen akademischen Grad. Einen Doktor Wiesike findet man allerdings in Fontanes wohl bekanntestem Roman Effi Briest. Hier spielt jener Doktor die Rolle des Hausarztes der Familie Briest, welcher schon Geburtshilfe bei Effi geleistet hatte. Er begleitet mit ärztlichem Rat auch Effis letzte Lebens- und Sterbenszeit nach ihrer Rückkehr ins Elternhaus. Mit weiser Milde verordnet der Hausarzt der Fiebernden keine Medikamente, sondern»reine Luft und freundliche Eindrücke, die das Alte vergessen machen« 48 . Jene wären am besten in der Schweiz oder an der Riviera zu finden. Effi lehnte eine Reise in den Süden jedoch ab, weil sie in ihrem Elternhaus unter der Obhut aller Vertrauten gesunden wollte. Der Hausarzt Wiesike respektierte selbstredend Effis Entscheidung, denn das seien»keine Launen, solche Kranken haben ein sehr feines Gefühl und wissen mit merkwürdiger Sicherheit, was ihnen hilft und was nicht.[…] Also lassen wir sie hier; wenn es nicht das beste ist, so ist es gewiß nicht das schlechteste« 49 . Einem Schulmediziner hätte wohl Fontane solche Worte nicht in den Mund gelegt. Es verwundert auch nicht, dass der gelernte Apotheker Fontane Heilmittel potenzierte. Dass der Gründer der Homöopathie Hahnemann, ein promovierter und habilitierter Schulmediziner, im Romanpersonal bei Effi Briest unterkommt, ist daher nur konsequent. Allerdings bekam er nicht solch eine prominente Rolle wie Wiesike. Er gehörte zwar zu den Dorfhonoratioren, musste aber im Roman auf sein mittleres H im Namen verzichten und spielte die Rolle des Landarztes in dem mecklenburgischen Refugium der jungen Familie von Innstetten. Seine Funktion im Roman erschöpfte sich zuletzt in der achselzuckenden Bestätigung des Todes vom Duellanten Crampas. An den Begründer der Homöopathie Hahnemann erinnert Fontanes skizzenhafte Darstellung, als Innstetten mit seinem Sekundanten Wüllersdorf am Duellplatz ankommend die Gegenpartei erblickte»und mit ihnen den guten Dr. Hannemann, der seinen Hut in der Hand hielt, so daß das weiße Haar im Winde flatterte« 50 .
Heft
(2016) 101
Seite
58
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