Heft 
(2016) 101
Seite
72
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72 Fontane Blätter 101 Rezensionen und Annotationen der Ereignisse(z.B. Treibels und Schmidts Abendgesellschaft) meint, son­dern auch das ›Gleichzeitige‹ von archäologischen Funden, die in Schich­ten übereinander liegen, oder Redehandlungen(Anspielung auf den histo­rischen Nelson), die Entferntes bzw. Aufeinanderfolgendes im Jetzt des Dialogisierens vergleichzeitigen. All das gilt als Entsprechung zu den Si­multanbildern der Zeitschriften. Mit anderen Worten, es kommen die Struktureigenarten des Zeit-, Gegenwarts-, ›Nebeneinander‹- und ›Viel­heitsromans‹ konsequent zur Geltung. Erneut rücken hierbei Fontanes ›vieldeutige Schlusssätze‹(vgl. 573) in den Blick. Angesichts ihres antisemitischen Horizonts, der nochmals un­terstrichen wird, erscheinen sie nicht als erzähltechnische Errungenschaft des Realisten, der das auktoriale Besserwissen zugunsten eines Appells zum kritischen Weiterdenken aufgegeben hat, sondern als Symptom für einen in Bedrängnis geratenen Autor, der»offenbar[] nicht umhin« kann, in solchen Fällen uneindeutig zu schreiben, wo er die»Destabilisie­rung« seiner»Ordnung«(573) befürchten muss. Anschließend wendet sich von Graevenitz Effis»Leben in Angst und Bildern«(587) zu(der Rückbezug auf Schusters Studie ist erkennbar). Auch hier benutze Fontane»das ganze Spektrum der Bilder, das die neuen Medi­en gleichzeitig gegenwärtig machen«(601). Wie er es benutzt, wird weni­ger sichtbar gemacht als dass er es aufgreift(z.B. die Art, wie Fontane die Trippelli über Gespenstererfahrungen vor dem Hintergrund eines Rumä­nien-Aufenthaltes und ›Sicherung‹ durch eine Quäkerin berichten lässt). Doch nicht jede bildliche Ähnlichkeit verweist auf Gleichgerichtetheit. Schon der Anfang der Bilderpräsentation, die Fontanes mediale ›Passung‹ belegen soll, überzeugt nicht endgültig: Die gezeigte Gutschmidt-Illustra­tion zu Henny Kochs Irrwisch zeigt eben nicht die»typische Effi-Situation« (593), sondern kann als gegenbildliche Vorlage für Fontanes eigene Auffas­sung der besonderen Effi-Situation gelten: Der Hund(gerade auch und weil er Rollo heißt) kommt erst später hinzu und verändert die Konfiguration grundlegend. Das»unversehens dahergeweht« in der Bild-Unterschrift er­weist sich als absichtsvolles Hinschicken durch die Mutter. Der Wind, der seitwärts in die Kleidung fegt, und der Männerarm, der sich dem Mädchen gezielt entgegenstreckt das sind Züge, die der Roman eher entblößt als bildselig wiederholt. Nicht geht es um Hut und Rock, sondern um Kopf und Kragen. Richtig aber ist, dass Wiederholungen und Aufschübe den Rhyth­mus der Erzählung angeben. Ob es freilich eine Äquivalenz gibt zwischen dem wahrnehmungspsychologischen Verhältnis von Perzeption und Ap­perzeption im Sinne des Fontane-Freundes Lazarus und Innstettens Be­streben, die ›wilde Effi‹ durch Kunst- und Museumsgänge zu beherrschen (vgl. 614), scheint mir nicht so gewiss zu sein. Effis Angst verdichtet sich nach von Graevenitz im verdeckten Zitat (627) von Goethes Erlkönig-Ballade, deren oberflächlich schwindende