82 Fontane Blätter 101 Vermischtes Toasts, selbst wenn sie so virtuos gereimt sind wie die Fontaneschen, sehr rasch in bleierne Langeweile mündet. Man kann sich davon sehr leicht überzeugen, wenn man die von Friedrich Fontane ebenfalls 1893 unter dem Titel Das Familienfest herausgebrachte Sammlung von»Original-Gedichten« – drei von ihnen tragen das Kürzel Th. F. – liest, aus der sich die Jenny Treibels dieser Erde für Polterabende und Hochzeiten aller Altersstufen bedienen konnten. 6 Langweilig sind diese Texte – jenseits ihres kulturhistorischen Zeugniswerts –, weil jeder ihrer Verse dasselbe sagt:»So harmonisch soll alles klingen.« Letztlich sagt die große Mehrzahl von Fontanes lyrischen Toasts auch nichts anderes; immerhin ist dies ein Dichter, dem es schon in einem seiner ältesten überlieferten Toasts leichtesten Herzens gelang, Toast auf Trost zu reimen. 7 Ganz anders verhält es sich hingegen mit den zahlreichen Toasts in Theodor Fontanes Romanen. Wenn dort eine Figur einen Toast mit den Worten ausbringt:»So harmonisch soll alles klingen«, dann darf der Leser versichert sein, dass die Geschichte tödlich ausgeht, wie sie es denn im Falle von Stine auch tut. Fontanes lyrische Toasts sind rhetorische Inseln der sozialen Harmonie, die die Disharmonien der ungereimten Wirklichkeit aus sich ausklammern; in seinen Romanen dagegen kündigen Fontanes Toasts zutiefst disharmonischer Ausgänge an. Diese fundamentale Divergenz zwischen Fontanes lyrischen und seinen epischen Toasts erklärt, weshalb es ihm, der als»toastender Fridolin« am 23. Dezember 1860 in einem Brief an Paul Heyse von sich behauptet hatte, er könne»zu jeder Tageszeit jeden beliebigen Menschen in jeder beliebigen Form hochleben lassen«, 8 seit der Mitte der siebziger Jahre, als er zum Autor von Romanen geworden war, außerordentlich schwer fiel, fortan noch lyrische Toasts zu schreiben. Er stellte seine Toast-Fabrik nach 1878 weitgehend ein, und die wenigen Toasts, die ihm danach noch die Zeit fürs Hauptgeschäft raubten – höchstens ein oder zwei Stück pro Jahr –, waren nun vor allem Arbeit und entstanden gleichsam unter schwerem Ächzen: »Gearbeitet: Toast«, heißt es am 28. April 1882 im Tagebuch, 9 als er aus Anlass der Hochzeit seiner Nichte Anna einen Toast auf Jenny Sommerfeldt schreiben musste, und als er im März 1884 bei einem anlässlich des Jubiläums der Verlagsbuchhandlung Grote und der Silbernen Hochzeit Carl Müller-Grotes stattfindenden Diner einen Toast ausbringen sollte, da schrieb er entnervt an Tochter Mete:»Ich soll für Müller-Grotes auch dichten. Schrecklich. Aber Mama wünscht es und fragt nicht, ob’s geht oder nicht.« 10 Es ging dann doch – wenn auch nur in zeremoniösen Stanzen mit arg gequetschtem Humor. Wie anders klang dies doch in Tunnel-, Rütliund Ellora-Zeiten, als Fontane seinen besonderen Ehrgeiz darin setzte, als der Toast-Virtuose schlechthin gelten zu dürfen: als eine Art Franz Liszt oder Paganini des Toasts. Charakteristisch hierfür ist Fontanes Brief an seine Frau vom 28. November 1869, in dem er davon berichtet, wie FriedrichEggers die»ganze Toasterei« zu seinem 50. Geburtstag am Tag zuvor selbst
Heft
(2016) 101
Seite
82
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