84 Fontane Blätter 101 Vermischtes Ich hab es geschworen, gib mir meinen Hut Und gib mir meinen Bambus; Variatio delectat! Ich tu es heut Im siebenfüßigen Jambus!« 12 Das ist schon deshalb sehr witzig, weil alle Anwesenden noch sehr gut die Ballade Archibald Douglas im Ohr hatten, die wenige Wochen zuvor, am 3. Dezember 1854, bei der Tunnel-Lesung erstmals vorgetragen worden war:»Ich hab es getragen sieben Jahr/ Und ich kann es nicht tragen mehr«. 13 Das hätte nun freilich auch der berechtigte Stoßseufzer eines Dauer-Toasters sein können; aber stattdessen dichtet Fontane:»Ich hab es geschworen, zum siebenten Mal/ Den Kugler anzutoasten.« Und indem er die hohe Tonlage der Ballade auf den niederen Stil der Travestie, ja des Kalauers herabschraubt und dabei doch zugleich den»siebenfüßigen Jambus« der gefeierten Ballade in seinem Toast beibehält, bestätigt er zugleich die Leitmaxime aller Toast-Virtuosen:»Variatio delectat!« Dies ist die zentrale, ja vielleicht sogar die einzige poetologische Maxime, der Fontanes lyrische Toasts gehorchen. Weil dies aber so ist, verlagern sie die Aufmerksamkeit nicht nur vom Was des Anlasses auf das Wie der Form, sondern zugleich auch vom Angetoasteten auf den Toastenden, vom Adressaten des Gedichts auf den Dichter selbst. Denn er nutzt den Anlass des Toasts, wie gerade dieses Beispiel zeigt, vor allem dazu, sich selbst in Szene zu setzen, indem er seinen Witz und sein dichterisches Können dadurch unter Beweis stellt, dass er aus einem längst erschöpften poetischen Bergwerk noch viele funkelnde Diamanten zutage fördert und sie lächelnd seinem staunenden Publikum präsentiert, das nur taubes Gestein erwartet hatte. Hierin gründet die fundamentale Ironie der Fontaneschen Gelegenheitsgedichte insgesamt und seiner Toasts insbesondere: Sie werden ihrem Anlass in Thema und Form jeweils durchaus gerecht und zwingen doch die Anwesenden durch ihre spielerische Virtuosität dazu, die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Anlass abzuziehen und sich auf das Wie der poetischen Darbietung zu konzentrieren. Dies freilich ist ein Verfahren, das implizit die historische Fragwürdigkeit des Gelegenheitsgedichts im 19. Jahrhundert als einer der Selbstfeier des arrivierten Bürgertums dienenden Gattung zu erkennen gibt; Fontanes Toasts sagen(was immer sonst sie auch sagen mögen): Dass und wie wir uns hier feiern, ist doch ein Witz! Nicht zuletzt diese den Fontaneschen Toasts implizite ironische Distanz zur Gattung erklärt, weshalb die lyrischen Toasts, je mehr sich Fontane dem Roman und damit der kritischen Darstellung der bürgerlichen Wirklichkeit jenseits der Strategien ihrer ästhetischen Selbstüberhöhung zuwendet, umso stärker aus seinem dichterischen Werk zurücktreten. Die Verlagerung des Interesses vom Was des Anlasses auf das Wie des poetischen Verfahrens gibt eine Erklärung für zwei Charakteristika von Fontanes poetischen Toasts: zum einen die Verselbständigung des Witzes,
Heft
(2016) 101
Seite
84
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