86 Fontane Blätter 101 Vermischtes des Toasts; was dann noch übrig bleibt, ist, pointiert gesagt, der Toast als Witz – als Witz, in dem sich zwar, wie hier, Normen noch auf Formen reimen mögen, in dem aber nicht mehr, wie es die klassische Aufgabe des Toasts gewesen wäre, die gesellschaftlichen Formen mit den ethischen Normen, die eine Gesellschaft regulieren, am Beispiel einer Person argumentativ zum Ausgleich gebracht werden. Wo die Funktion einer Gattung dergestalt unterlaufen wird und es die Beteiligten nicht einmal mehr merken, weil der Witz das ideelle Defizit überspielt, da darf man dies als ein Indiz dafür werten, dass einer Gesellschaft ihre ideellen Bindekräfte abhanden kommen oder schon abhanden gekommen sind. Gewiss hätte es viele Gründe gegeben, den königlichen Baumeister Richard Lucae in einem Toast zu feiern, nur nennt Fontanes zum 12. April 1860 gedichteter Toast auf Richard Lucae keinen einzigen davon, mehr noch: er simuliert die Verzweiflung eines Dichters, dem nichts Rühmenswertes an seinem Adressaten einfällt und der sich deshalb in schale Reimspiele flüchtet: Hilf mir, Apoll, und willst du nicht, So hilf du mir, Konfuze, Vor allem Hülfe! ich brauch ein Gedicht Auf unsern Richard Lucae. 17 Und sechs Tage später beginnt er einen Toast auf Otto Roquette so: Nachts um die zwölfte Stunde Saß toastesuchend der Noel, Er war sehr müde im Grunde, Und der Lampe fehlte das Öl. 18 So geht dies Strophe um Strophe, insgesamt 14 Strophen lang, bis dann unvermutet, weil argumentativ auf keine Weise vorbereitet, ein Lebehoch auf Roquette und seine Werke ausgebracht wird. Das alles ist im einzelnen durchaus witzig und im ganzen doch auch wieder traurig, weil es gegen den Willen des Autors zeigt, wie leer die Konventionen und wie hohl die Rituale und wie trübe die Spiritualität der Gesellschaft seiner Zeit geworden sind, so dass der forcierte Witz seiner Toasts nur noch mit Mühe über diese ideelle Leere hinwegzutäuschen vermag:»der Lampe fehlte das Öl.« Den Formen ist die Seele abhanden gekommen, der Gesellschaft das Ethos, der Konvention der sie legitimierende Sinn; die gesellschaftliche Rolle und das Ritual sind wichtiger geworden als die ideellen Ansprüche, die sozialen Leistungen, die moralischen Ziele. Sie werden in Fontanes Toasts marginal; damit charakterisieren sie eine Gesellschaft, der ihre ideellen Bindekräfte abhanden gekommen sind und die die ethischen Gründe dafür, weshalb ein einzelner aus der Menge herausragt, nicht mehr hören will, weil sie nicht mehr an sie glaubt. So wird der Toast zu einer Hohlform, dessen ideelle Leere der»toastende Fridolin« in seiner Gesellschaftsmühle nur dadurch überspielen kann, dass er sie mit Scherzen füllt.
Heft
(2016) 101
Seite
86
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten