Heft 
(2016) 101
Seite
87
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Theodor Fontanes Kunst des Toasts  Osterkamp 87 Theodor Fontanes schönster lyrischer Toast ist deshalb auch derjenige, mit dem er unausgesprochen seinen Abschied von der Gattung vollzieht(auch wenn ihm in den beiden folgenden Jahrzehnten noch einige wenige Toasts abgezwungen werden). Es ist der im September 1878 entstandene Toast auf Klaus Groth, den Fontane kurz vor der Niederschrift des Gedichts persön­lich kennen gelernt hatte. Fontane hat den Text nicht in der Sprache der gesellschaftlichen Konvention, sondern als Hommage an Groth auf Nie­derdeutsch verfasst. Zwar spricht er auch in diesem Toast nur von sich selbst, aber doch so, als habe die Begegnung mit Groth und dessen Werk in seinem Leben und Dichten einen entscheidenden Wandel bewirkt. So trennt er sich mit diesem Toast für immer von seiner bisherigen Erfolgs­gattung, der Ballade, weil sie seinen ästhetischen Ansprüchen nicht mehr gemäß ist: Dat allens bummst un klappert to veel; Ick bin mihr för allens wat lütt un still, En beten Beschriewung, en beten Idill, Wat läuschig is, dat wihr so mine Oart, Dat Best bliewt doch ümmer dat Menschenhart. 19 Wer sich schriftstellerisch die Erkundung des Menschenherzens und die Darstellung von dessen Geschicken zum Ziel gesetzt hat, wird so wenig wie Balladen fortan zu hohler Konvention geronnene Toasts mehr schrei­ben wollen, sondern sich stattdessen der das moderne Leben darstellenden Gattung des Romans zuwenden, und so heißt es denn in der Schlussstro­phe des Toasts auf Klaus Groth: Dat richtige Lewen dat fung nu ihrst an, Un ick hürte nu blot noch, wat sünsten ick mied: Dat Mignon- un dat Harfner-Lied; Doa hat ick dat Beste för dat, wat grot, Hatte Goethe, Mörike und Klaus Groth. 20 »Das richtige Leben, das fing nun erst an«: jenseits der Konventionspo­esie der Toasts und Balladen. Die Hommage an Klaus Groth ist deshalb zugleich ein Bekenntnis zu Fontanes Romanpoetik: zur Darstellung des »richtigen Lebens« im Spiegel der vielfach gebrochenen Geschicke des Menschenherzens. Wenige Wochen nach der Niederschrift des Toasts auf Klaus Groth, im November 1878, erscheint Vor dem Sturm, Fontanes erster Roman. Der Toast auf Klaus Groth ist das Gedicht eines Mannes, der sich dazu entschlossen hat, keine Toasts und Balladen mehr, sondern nur noch Romane zu schreiben, die den Blick für das»richtige Leben« und die wirk­lichen Empfindungen des»Menschenherzens« schärfen. Nun wird aber das»richtige Leben« in einem entscheidenden Maße von Konventionen reguliert, und deshalb werden Fontanes Romane wie von vielen anderen sozialen Ritualen auch von Toasts geradezu rhythmisiert