Heft 
(2016) 101
Seite
88
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88 Fontane Blätter 101 Vermischtes von Toasts freilich, die sich als Brennpunkte der Handlung verstehen las­sen, weil sich mit ihnen eine Gesellschaft ihrer Gewissheiten versichern will, ihrer inneren Harmonie, ihrer Stabilität und ihrer Zukunft, während der Fortgang des Geschehens doch erweist, dass die Anlässe, zu denen sie gesprochen werden, bereits durch die Brüche und Risse und tiefen Miss­helligkeiten charakterisiert sind, welche am Ende jene Opfer fordern, die den Zweifel an der Zukunftsfähigkeit der sich in Toasts feiernden Gesell­schaft in die Gewissheit ihres notwendigen Untergangs umschlagen las­sen. Denn Fontanes Toasts lassen in seinen Romanen eine Gesellschaft hochleben, die keine Zukunft mehr hat, weil ihre gesellschaftlichen For­men so leer und so hohl sind, wie es bereits Jahrzehnte zuvor der oft sinn­lose Witz seiner zum Ritual geronnenen lyrischen Toasts angezeigt hatte. Der Toast ist in Fontanes Romanen geradezu der symbolische Inbegriff der Konvention, und darin gründet seine Nähe zum Untergang; keiner hat dies früher und besser verstanden als Fontanes Schüler Thomas Mann, der 1901 Buddenbrooks, seinen Roman über den»Verfall einer Familie«, mit einer Serie von Toasts eröffnet, die keine der anwesenden Figuren überle­ben wird. In Fontanes Romanen vereinigen die Toasts noch einmal die Be­teiligten für kurze Zeit auf einer künstlichen Insel der Harmonie, an die, kaum ist er verklungen, die Fluten der Geschichte schlagen, um sie rasch fortzuspülen. Einerseits kündet die Fülle an Toasts in Fontanes Romanen von der Macht der sozialen Konvention und der gesellschaftlichen Rollen, andererseits zeigt die Neigung der Romane zu tödlichen Ausgängen, dass deren Bindekraft erloschen ist. Die Magie des Rituals versagt an der Ge­walt der Geschichte, und weil dies so ist, weil also die Beschwörungskraft des Toasts nicht über den Augenblick hinaus trägt und soziale Harmonie nicht mehr auf Dauer zu stellen vermag, kündigen die Toasts in Fontanes Romanen, indem sie den gesellschaftlichen Einklang beschwören, immer zugleich dessen nahende Auflösung an. Aus diesem Grund sind Fontanes Toasts Knotenpunkte der Erzählung, in denen sich gerade deshalb deren menschliche und soziale Problematik verdichtet, weil sie noch einmal alle Beteiligten in Harmonie zusammenzuführen suchen, und sie sind narrati­ve Relaisstationen, in denen der Gang der Handlung auf entscheidende Weise so umgepolt wird, dass der vom Toast vorausgesetzte Wille zum gu­ten Ausgang rasch außer Kraft gesetzt erscheint. Das ist freilich noch nicht so in Fontanes erstem Roman; in Vor dem Sturm gibt es zwar auch markante Toasts, doch setzt Fontane sie dort auf vergleichsweise konventionelle Weise ein. Denn in Fontanes historischem Roman entfaltet die Wunschstruktur des Toasts eine prognostische Kraft; es wird, wie jeder historisch informierte Leser weiß, genau das geschehen, was der Toastende und sein sozialer Umkreis sich wünschen. Charakteris­tisch hierfür ist das Weihnachtsmahl in der Hohen-Vietzer Pfarre, bei dem Justizrat Turgany und Pfarrer Seidentopf ihren Streit über den Wagen