Theodor Fontanes Kunst des Toasts Osterkamp 89 Odins aussetzen, der eine Kaviar servieren lässt und dazu ein Lebehoch auf Russland und seine nahenden»Steppenreiter« ausbringt, der andere aber alten Rheinwein aus der Zeit vor der französischen Besetzung mit dem Wunsch kredenzt:»Möge der Most des nächsten Jahres in deutschen Keltern stehen.« Beides findet zusammen in dem Toast»So vermähle sich die slavische und germanische Welt« und der Umarmung»beider Gegner« im gemeinsamen»Gefühl patriotischer Erhebung«. 21 Das ist die symbolische Antizipation der Konvention von Tauroggen, die, was keiner der Anwesenden ahnen kann, vier Tage später, am 30.12.1812, geschlossen wird. Die Geschichte löst ein, was die Toasts herbeiwünschen, und die Voraussetzung dafür, dass sie dies tun kann, ist die Einigkeit der Patrioten, die der Toast repräsentiert. Auf diese Weise entfaltet der Toast im Einklang mit der Realgeschichte eine antizipatorische Kraft für die weitere Handlung des Romans, und nicht anders verhält es sich mit dem Neujahrstoast, den Berndt von Vitzewitz zu Ende des 2. Bandes ausbringt:»Wir haben«, so ruft er zum Klang der Gläser das neue Jahr 1813 an,»nicht Wünsche, wir haben nur einen Wunsch: seien wir frei, wenn du wieder scheidest!« 22 Dass es so kommen wird, weiß jeder Leser, und so bilden denn Toast und historisches Geschehen – bei allen Brüchen und Verwerfungen der Romanhandlung im Einzelnen – einen linearen Zusammenhang. Der»eine Wunsch« nach Freiheit erfüllt sich, weil alle vom Roman breit vorgeführten Gesellschaftskreise über sämtliche Trennungen und sozialen Grenzen hinweg durch das eine»Gefühl patriotischer Erhebung«, das beide Toasts zum Ausdruck bringen, miteinander verbunden sind. Insofern gehorcht Fontanes historischer Roman noch einer patriotischen wie einer narrativen Konvention, die er im Toast hochleben lässt. Ganz anders verhält es sich fünf Jahre später mit den Toasts in Schach von Wuthenow. Hier erprobt Fontane erstmals die narrative Entfaltung des Spannungsverhältnisses zwischen der im Toast beschworenen Einhaltung der Konvention und dem Absturz in die Katastrophe, und einen besseren Kandidaten hierfür als»Seine Majestät den Rittmeister von Schach«, 23 auf den der Verleger Sander, den Widerspruch zwischen äußerer Prätention und der seelisch-sittlichen Schwäche Schachs akzentuierend, zu Beginn des Romans einen ironischen Toast ausbringt. Das ist das Satyrspiel vor der Tragödie, denn an diesem Widerspruch zwischen einem zur Hohlform geronnenen Ehrbegriff und seinem Unvermögen, sie noch mit einem nicht ästhetisch, sondern ethisch begründeten lebendigen Inhalt zu füllen, wird Schach zugrunde gehen, wenn man die Flucht in den Selbstmord überhaupt mit einem so großen Wort benennen will. Den Schlussakt der Tragödie eröffnen jedenfalls zwei Toasts: derjenige des alten Konsistorialrats, der bezeichnenderweise die Gestalt eines nur bis zu Victoires Konfirmation reichenden»historischen Rückblicks« besitzt, die Gesellschaft also deshalb in»ungezwungene Heiterkeit« versetzen kann, 24 weil er die problematische
Heft
(2016) 101
Seite
89
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