Theodor Fontanes Kunst des Toasts Osterkamp 91 Harmonie stiften, zeigt die um den Tisch versammelte Gesellschaft, in der im Grunde niemand zum anderen passt, am wenigsten Cécile zu ihrem Ehemann St. Arnaud, mit dem sie nur eine Konventionsehe verbindet; sie ist deshalb auch die einzige, die sich nicht an diesem Spiel beteiligt, weil sie sich schon längst auf diese Gesellschaft keinen Reim mehr machen kann. Der Toast zwingt gleichwohl alle noch einmal zu einer Pseudo-Harmonie zusammen, auch St. Arnaud und seinen Rivalen Gordon. Dass der spielerische Toast auf Cécile zugleich aber das narrative Relais ist, in dem der immer gleiche Ablauf eines von Konventionen regulierten Lebens umgepolt wird in eine Dynamik, die zur Katastrophe führt, weil die bindende Kraft der sozialen Rituale sich als so schwach erweist wie die des Reims, dies zeigt das Ende des Romans, an dem zwei von den hier Versammelten tot sind und ein dritter auf der Flucht im Ausland. Fontane wird später noch einmal – auf freilich ganz anders motivierte Weise – ein solches Relais, das die Konvention mit unabsehbarem Ausgang in die unaufhaltsame Dynamik der Geschichte umpolt, genau in die Mitte eines Romans einbauen: den heiklen Toast auf Dubslav von Stechlin, den dieser ebenso wenig überleben wird wie Cécile den auf sie ausgebrachten. Strukturell Ähnliches vollzieht sich in Irrungen, Wirrungen. Hier bringt Botho von Rienäcker seinen Kirschwasser-Toast auf seine Geliebte Lene Nimptsch allerdings schon ganz zu Beginn des Romans, im 4. Kapitel, aus, wobei ihm wie Lene, wie ihr sich im 5. Kapitel anschließendes Gespräch zeigt, vollkommen bewusst ist, dass die unüberbrückbaren Standesgrenzen ihrem Glück keine Dauer gewähren werden; es ist dies gemeinsame Bewusstsein, das schon an dieser frühen Stelle des Romans, kurz nachdem der Toast die sozialen Grenzen für einen Augenblick hat vergessen lassen, dafür sorgt, dass der Roman einen zwar traurigen, nicht aber tragischen Ausgang haben wird. Erzähltechnisch viel interessanter ist deshalb auch ein zweiter Toast, der in diesem Roman ausgebracht wird: derjenige»Auf das Wohl von Hankels Ablage«, 28 den Botho in Gegenwart des Wirts, nicht aber Lenes, die damit symbolisch aus diesem Wohl ausgeschlossen bleibt, im 12. Kapitel ausbringt. Tatsächlich markiert gerade dieser Toast wiederum den entscheidenden Umschlag im Gang der Handlung, weil in das von Lene und Botho erträumte erotische Idyll, auf dessen Gelingen Botho hier unausgesprochen anstößt, unvermutet drei Kameraden Bothos mit ihren Liebschaften einbrechen und damit das flüchtige Glück – »en beten Idill«, wie es im Toast auf Klaus Groth heißt – der Liebenden zerstören, indem sie Lene in die Mätressen-Schablone pressen. So bahnt Fontane die Trennung der Liebenden im Lebehoch auf die Idylle an; gelegentlich ist man versucht, Fontanes Toasts, die die Harmonie zerstören, indem sie sie beschwören, dialektisch zu nennen. So ist es denn die Dramaturgie des Toasts, die der finalen Katastrophe der Holkschen Ehe in Unwiederbringlich präludiert: Der virtuose
Heft
(2016) 101
Seite
91
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten