Heft 
(2016) 101
Seite
93
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Theodor Fontanes Kunst des Toasts  Osterkamp 93 noch jemand gefunden hat, der das Paar hat»leben lassen«. Man sage nicht, dies sei zu selbstverständlich, als dass Fontane es habe berichten müssen; dies ist schließlich ein Erzähler, dessen Wirklichkeitssinn ihn immer wie­der auch das Selbstverständliche gerade deshalb erwähnen lässt, weil es selbstverständlich sein sollte, aber nicht immer ist. Hier klafft also eine erzählerische Lücke; es ist, als hätten die individuellen Glücksansprüche Effis wie auch Innstettens schon bei ihrer Hochzeit nicht zur Geltung kom­men dürfen. Umso gravierender dann freilich ist es, dass der einzige Toast, der in dem Roman noch gesprochen wird, derjenige ist, den beim Weih­nachtsmahl im Hause des Oberförsters Ring Güldenklee auf diesen aus­bringt. Dieser Toast nun wirkt, was Fontane bewusst gewesen sein muss, wie eine Parodie auf seine eigenen lyrischen Toasts, die im Grunde nicht parodiefähig sind, weil sie schon selbst wie Parodien erscheinen. Denn Güldenklee hat im Grunde nichts zu sagen und macht deshalb, wie Fontane lästig oft in seinen gereimten Toasts, großzügigsten Gebrauch vom locus ex nomine, der rhetorischen Technik, Stoff für eine Rede dadurch zu ge­winnen, dass der Redner sich vom Namen des Adressaten der Rede inspi­rieren lässt. Also treibt Güldenklee mehr oder weniger geglückte Scherze mit dem Wort Ring, bis hin zu einer politisch grauenhaft taktlosen Anspie­lung auf Lessings Ringparabel, die er»eine Judengeschichte« nennt, um daraufhin»alles, was noch mit Gott für König und Vaterland einsteht«, 35 in ein Lebehoch auf Ring, über dessen Leistungen und Qualitäten kein einzi­ges Wort verloren wird, einstimmen zu lassen. Es folgt das Preußenlied, dessen sämtliche Strophen von allen Anwesenden stehend gesungen wird. Natürlich ist dies alles eine Satire auf die patriotische Hochstimmung in Preußen nach der Reichsgründung aber warum entfaltet Fontane sie ge­rade in diesem Roman und wiederum genau in der Mitte einer intimen Seelentragödie, die doch mit den großen Geschicken von Volk und Vater­land wenig oder nichts zu tun hat? Aber es ist eben die Vulgarität der Selbstfeier einer in ihrer Banalität und Selbstgefälligkeit erstarrten Ge­sellschaft, die für den Erzähler Fontane den finsteren Hintergrund für das Seelendrama Effis bildet. Was in Güldenklees Toast sich ereignet, ist der Triumph der Phrase über die Wirklichkeit; er verbindet sich mit einer vom Patriotismus erpressten Harmonie, die alle längst zutage getretenen sozia­len wie innerseelischen Widersprüche situativ überwölbt. Fontane entfal­tet in dieser Karikatur auf die Idolatrie der gesellschaftlichen Konvention und auf den Kult des sich über individuelle Glücksansprüche hinwegset­zenden Patriotismus den schärfsten Kontrast zu dem Drama einer jungen Frau, die an eben diesen Konventionen und an der Unfähigkeit, sie mit ei­ner humanen Bedeutung zu füllen, zerbrechen wird. Auch dieser Toast also ist tödlich. Fontanes Technik, die Brüchigkeit der Gesellschaft an ihren Ritualen zu erweisen, führt schließlich in seinem letzten abgeschlossenen Roman