Heft 
(2016) 101
Seite
95
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Theodor Fontanes Kunst des Toasts  Osterkamp 95 wie Dubslav Stechlin nicht anders erwarten darf, und dennoch wirkt sein Toast eigentümlich klaterig. Das hat seinen Grund in der in jeder Hinsicht unausgewogenen Zusammensetzung der Gesellschaft: sieben Männer, eine Frau, das ist eine kaum tragfähige Asymmetrie für eine Abendgesell­schaft. Hinzu kommt eine soziale Inhomogenität durch die Anwesenheit des reichen Sägemühlenbesitzers von Gundermann und seiner Frau, er von frischestem Adel und von Ehrgeiz gesteuertem intrigantem Wesen, sie kleinsten Verhältnissen im Berliner Nordosten entstammend, dabei aber von großer Mitteilsamkeit. Natürlich verlangt es die Convenance, dass bei einer solchen Gelegenheit der Hausherr einen Toast auf die einzige anwe­sende Dame, eben Frau von Gundermann, ausbringt, aber dies stellt selbst an Dubslavs Sinn für die Ironie der sozialen Semantik zu große Ansprü­che, und deshalb entschließt er sich nun dazu, in seinen Toast eine abwe­sende Dame einzubeziehen: die Frau des ebenfalls am Tische weilenden Oberförsters Katzler, deren rigoroses Pflichtgefühl sich vor allem in der seriellen Produktion von Töchtern dokumentiert und die deshalb auch jetzt durch Schwangerschaft verhindert ist; da sie aber dem Hochadel ent­stammt, also ihrem Mann in einer Mesalliance verbunden ist, kann sie nun in Dubslavs Toast eine Ironie der sozialen Semantik durch eine andere aus­gleichen:»›Meine Herren, Frau Oberförster Katzler‹ er machte hier eine kleine Pause, wie wenn er eine höhere Titulatur ganz ernsthaft in Erwä­gung gezogen hätte ›Frau Oberförster Katzler und Frau von Gunder­mann, sie leben hoch! Rex, Czako, Katzler erhoben sich, um mit Frau von Gundermann anzustoßen[].« 37 Wie man sieht, geht Dubslavs Toast ge­wissermaßen ins Leere: Da mit der rhetorisch vorgezogenen und zwei Mal beim Namen genannten, also in jeder Hinsicht auch in Dubslavs Toast pri­vilegierten Prinzessin mit nun bürgerlichem Namen nicht angestoßen wer­den kann, stößt man eben mit ihrer aus der Schönhauser Allee stammen­den Substitutin mit Adelsprädikat an, deren Funktion doch nur darin besteht, ein Abstraktum zu repräsentieren:»die Damenwelt«. 38 Dass Rex, Czako und Katzler sich dabei wie auf Kommando erheben, obwohl sie ne­ben Frau von Gundermann bzw. ihr gegenüber sitzen, signalisiert die Au­tomatik eines Rituals, das seiner sozialen Semantik entkleidet ist. Die ob­jektive, von Dubslav nicht intendierte Ironie dieses Rituals, an der der Roman selbst aber keinen Zweifel lässt, besteht freilich darin, dass es trotz der Privilegierung der Prinzessin die Gundermanns, ihr politischer Op­portunismus und ihre ökonomische Potenz sein werden, denen die gesell­schaftliche Zukunft gehört. Dubslavs Toast geht aber auch deshalb ins Leere, weil zwei weitere Da­men am Tische fehlen: seine eigene Gemahlin, die er schon vor langer Zeit verloren hat, und vor allem eine sehnlich erwartete Schwiegertochter. Es fällt auf, dass Woldemar nicht zu denjenigen gehört, die aufspringen und mit Frau von Gundermann anstoßen, obwohl er doch am weitesten von ihr