Allerlei Glück? Cécile und ihre Schwestern Aust 103 Glücksgefühl eines antizipierten Welt-Zusammenhangs; aber ohne»die Stechline« wirkt die verheißene Vernetzung zunehmend ›automatisch‹. Dem Paradox des glückbringenden Unglücks jenseits allen ›Allerleis‹ kommt Gordon nahe, wenn er an Cécile in fast behaglicher Stimmung schreibt:»[…] und die Sehnsucht, die sonst uns quälen würde, wird unser Glück« 5 . Natürlich täuscht sich dieser ›Mann‹. Und doch: auch weniger männliche Figuren neigen dazu, das Glück als gemischten Zustand einzuschätzen:»Und bei all meinem Glück hab’ ich oft bitterlich geweint« 6 , bekennt die junge Förstersfrau. In Sachen Glück scheint mir Cécile gerade wegen des fehlenden »utopische[n] Element[s]« 7 ein beredter Roman zu sein: Drei jeweils»auf ihre eigene Weise« 8 beschädigte Figuren verbringen gemeinsam gute Tage im Kurort Thale. Sie werden»glückliche« 9 genannt, und doch häufen sich Zeichen für kommende»Schwierigkeiten und Komplikationen«, wie Tschechow schreiben würde, die das begonnene»wunderschöne Leben« zunichtemachen 10 . Die»Reise nach dem Glück« 11 findet nicht statt, lässt sich nicht einmal erzählen, und der Ausflug in das»gelobte Land der Schmerlen« 12 , in dem es tatsächlich einen»Glücklichen« 13 gibt, beschert das Glück ebenso wenig wie der Blick auf die»Insel der Seligen« 14 daheim. Es scheint, als ob die Figuren etwas Entscheidendes bereits erlebt hätten und nun Teile davon wiederholen, wieder herholen wollten. ›Verabschiedet‹ hatten sich ja alle Drei in ihrer Vergangenheit auf ihre eigene Weise: immer irgendwie von einer ›Gesellschaft‹, einer ›guten‹ sogar, einer fürstlichen, militärischen, geschwisterlichen, und deshalb berührte dieser soziale Abschied stets auch das Leben, sei es in Form von Kugeln, die irgendwo lebensgefährlich stecken blieben, von Verstimmungen oder gar Grauen. Und wieder geht es beim zweiten Versuch schief, nicht nur für die eine Frau, sondern auch für beide Männer, ja sogar für diesen wenig erfreulichen St. Arnaud, der nach Auskunft der klugen Malerin ein nicht unerhebliches Glückskriterium eingelöst hatte:»Er war ganz Soldat und ging darin auf« 15 . Mit Renate Böschenstein 16 halte ich es für möglich, dass der initiale Satzabbruch»Thale. Zweiter…« keine eindeutige Vervollständigung aufdrängt, sondern offen bleibt für andere Füllung und mich fast an das alte Drama von der Unwiederbringlichkeit der ›dahingegangenen‹ Geliebten erinnert. Schon am Anfang führt der Roman das»Glück« als Thema ›hübscher‹ Gespräche ein; das klingt beliebig. Aber ›hübsch‹ ist für Cécile auch»das Leben«. So können ›glücklich‹ oder ›unglücklich sein‹ auf ihre eigene Weise zur ›Lebenssache‹ werden: Was dem einen glückt, wenn er richtig zielt und dann auch noch entkommt, nimmt den anderen das Leben. Das Glück der einen, ob in Vergangenheit oder Gegenwart, reizt den anderen. ›Allerlei Glück‹, wie es nebeneinander liegt, befriedet nicht, sondern stachelt an.
Heft
(2016) 101
Seite
103
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