104 Fontane Blätter 101 Vermischtes Cécile z.B. scheint zu wissen, was Glück ist bzw. was sie beglücken konnte: »Ueber Land fahren und an einer Waldecke sitzen, zusehen, wie das Korn geschnitten wird und die Kinder die Mohnblumen pflücken, oder auch wohl selber hingehen und einen Kranz flechten und dabei mit kleinen Leuten von kleinen Dingen reden, einer Geis, die verloren ging, oder von einem Sohn, der wieder kam.« 17 Das klingt nach ›einfachem‹ Glück, gleicht der ›munteren SeifensiederPhilosophie‹ 18 und ist vielleicht authentischer Fontane-Glückston, hängt aber auch mit den Glücksinszenierungen der Mutter zusammen, die ein Unglück sind, obwohl die Leidtragende das Erlebte später als Glück hinstellt. Zudem verwertet sie Lebensbedingungen anderer etwas eigensinnig, insofern weder»Geis« noch»Sohn« unter»kleinen Leuten« typisch »kleine Dinge« sind und insofern die erhaltene Kindlichkeit das Leben still stehen lässt. Gewiss, Cécile spricht über ihre glückliche Vergangenheit nicht wie Jenny über das Glück der»kleinen Verhältnisse« 19 ; aber beide wurden von ihren Müttern zu»Püppchen« 20 gemacht, und so umfasst ihr Glück tatsächlich ›allerlei‹. Fontanes Glücksheger überleben nicht immer, siehe neben Cécile und Gordon früher Tubal, vielleicht auch Schach, später Ursel, Stine und natürlich Effi. Mir scheint, ihr Tod löst das allgemeine Glücksproblem keineswegs; das zeigt sich an den Überlebenden und findet gültigen Ausdruck am Schluss von Tschechows Dame mit dem Hündchen. Der Ehebruch ist geglückt, eine neue Liebesgemeinschaft begründet, nur das fortwährende Versteckspiel stört:»Und es schien, als könnte es nicht mehr lange dauern, bis die Lösung gefunden sein und ein neues, wunderschönes Leben beginnen würde; und beide begriffen sehr gut, daß es bis zum Ende noch sehr, sehr weit war und die größten Schwierigkeiten und Komplikationen noch vor ihnen lagen.« 21 Ein Gefühl für diese»größten Schwierigkeiten und Komplikationen« können in Fontanes Welt nur wenige Figuren entwickeln: Melanie bestimmt, modifiziert Holk und Ebba und vielleicht schon Kathinka. Möglicherweise ahnt sogar Stine»Komplikationen«, die eben nicht von außen, sondern vom durchgesetzten Glück her kommen. In abgewandeltem Sinn könnte sogar Armgard von Stechlin Zeugnis ablegen von den »größten Schwierigkeiten« – natürlich nicht nach dem geglückten Ehebruch, sondern in der glücklichen Ehe. Victoire aber oder Mathilde sind ganz eigentümliche Figuren der Glückswende nach dem Unglück. Schwierige Erfahrungen mit dem Glück nach überwundenem Unglück bleiben Cécile und Gordon erspart, selbst wenn sie sich in einer Wiederholungsschleife fühlten, weil sie glücklicherweise vorher sterben, ich sage ›glücklicherweise‹, um daran zu erinnern, wie bei Zola Figuren aussehen, denen das ›Glück lacht‹(Renée, Aristide, Maxime in Die Beute). Cécile mag im Sinne Bülows»Zeiterscheinung« sein, wohl aber nicht »mit lokaler Begrenzung« 22 , kaum mit temporaler. Dicht neben dem Fontane-
Heft
(2016) 101
Seite
104
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