Heft 
(2016) 101
Seite
105
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Allerlei Glück? Cécile und ihre Schwestern  Aust 105 schen Roman erscheint in Frankreich eine Glücks-Phantasie, die darauf hinausläuft, durch die Aufdeckung des weiblichen Hintergrunds den männlichen Blick glücksutopisch zurechtzurücken; ich meine Die künftige Eva von Auguste de Villiers de lIsle-Adam. Nicht viel, eigentlich nur Ge­gensätze verbinden die beiden Romane. So geht es nicht um eine reponier­te Fürstengeliebte, sondern um eine psychophysisch reproduzierte Frau. Aber es behaupten sich vergleichbare Konstellationen zwischen Frau und Mann, deren Konfliktpotential bis in die Gegenwart reicht, gerade weil der gebotene Lösungsimpuls einen neuen Horizont der Glückserwartung mit unerhörtem ›Allerlei‹ aufspannt. Die»künftige Eva«(Hadaly) ist eine glückbringende ›dea ex machina‹, hergestellt angesichts enttäuschender, ­Gordon-ähnlicher Erfahrungen, die ein englischer Lord mit seiner wun­derschönen, aber seelenlosen, kindischen Geliebten gemacht hat. Der Lord soll durch ein autonomes Replikat vor Melancholie und Selbstmord bewahrt werden. In langen Gesprächen einigen sich die beiden Männer über die ideale Frau und wie sie als»Androide« Wirklichkeit wird, aber eben Gordons erneutes ›fatales‹ Erkenntnisäquivalent in ihrer körper­lich-seelischen Idealität doch eine metallische, verdrahtete und also bloß simulierte ›Puppe‹ bleibt. Erst eine Begegnung in der Art eines Touring­Tests bringt die Wende. Sie führt nicht etwa zu einem Cyborg-Manifest, wonach die künftige Eva als ›Prophylaxe gegen Heterosexismus‹ dienen könnte. 23 Im Gegenteil bewahrt sie die dienende Rolle aber so, dass sie den Mann dazu erziehen könnte, weniger ›Mann‹ und mehr ›Mensch‹ zu sein. Das ergäbe dann für eine Welt, wie sie post- und transhuman fortge­schritten ist, das idyllische Eheglück zwischen Wirklichkeit und Ideal, noch nicht für alle, aber doch für Mensch und Maschine, ein»allerlei Glück« mit ›allerlei Würde‹. Sehr verwandt mit dem Fontaneschen Roman ist dagegen eine aller­neueste Novelle von Paul Theroux mit dem Titel The Stranger at the Palaz­zo dOro(2003, dt.2015). Sie rückt gleichfalls eine Frau in den Blick, deren aufgedeckter Hintergrund den neugierigen Mann aus der Bahn wirft. Ein forscher Kerl, dem Gordon gleich, beobachtet im sizilianischen Urlaubs­ort Taormina ein auffallend ›hübsches Paar‹(»a handsome couple« 24 ). Un­willkürlich sucht er die Nähe, fasziniert von der rätselhaften Fremden, die wunderschön und besonders jung ist, bedeutend jünger als ihr Partner (»beaky faced« 25 ), eine deutsche Gräfin, kindlich wie Cécile, die nur für den einen Zweck zu leben scheint, angeschaut zu werden. 26 »I want your life« 27 , denkt der Mann gierig. Es kommt zu Begegnungen, kühl distan­ziert am Tage, leidenschaftlich in den Nächten. Wie im Fall Céciles gibt es in dieser Novelle eine Art Clothilden-Information, die den Umgangston des glücklich liebenden Mannes prompt ändert. Céciles moderne Schwes­ter»entpuppt« sich nicht etwa als»reponirte Fürstengeliebte« 28 , sondern erweist sich als schönheitschirurgisch restaurierte 60-Jährige mit Hitler-