Heft 
(2016) 101
Seite
110
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110 Fontane Blätter 101 Vermischtes ganz in Ampfer und Ranunkeln stehende Wiese geblickt habe, mit einem schwarzen Waldstreifen dahinter. Und es sei so still und einsam gewesen, wie sie gar nicht gedacht, daß Gottes Erde sein könne. Nur ein Fisch sei mitunter aufgesprungen und ein Reiher über die Wasserfläche hingeflo­gen. Und als sie sich satt gesehen an der Einsamkeit, habe sie die andern wieder aufgesucht und mit ihnen gespielt; und sie höre noch das Lachen und sähe noch, wie die Reifen in der Sonne geblitzt hätten.« 14 Diese Schilderung könnte man als eine Art Urszene bei Fontane be­zeichnen: eine Szene, in der das Visuelle, das Gesehene, mit der vollen Wirklichkeit der Sinneswelt gesättigt ist, die aber gleichzeitig in der von der Romanfigur reflektierten Empfindung(manchmal von dem Erzähler) als Ausdruck intensiven(hier glücklichen) Innenlebens zu erkennen ist. Die Motive Ampfer und Ranunkeln tauchen freilich auch in anderen Werken auf. 15 Mit der friedlichen, einsamen Szene in der Natur bildet Fontane eine positive Gegenwelt zu der Welt der Szene bei der Pittelkow in den Kapiteln 4 und 5, wo alles gemacht, kalkuliert, sittlich suspekt und unruhig ist. Zu Stines Glückserlebnis im Freien, aus der städtischen Arbeitswelt vorüber­gehend entlassen, gehört eindeutig das Erlebnis des Sich-satt-Sehens an der Natur. Fontane gönnt Waldemar ein vergleichbares Glückserlebnis im Freien in einer zweiten Szene, die durch die genaue visuelle Wahrnehmung der Figur geprägt und gleichzeitig ihr Produkt ist. Im vierzehnten Kapitel, nachdem sein Onkel ihm klar gemacht hat, dass er seine nicht standesge­mäßen Heiratspläne nicht unterstützen kann, begibt sich Waldemar in ein Berliner Sommerlokal. Eine Stunde später verlässt er das Lokal, um Stine seinen Heiratsantrag zu machen. Wir lesen: »Von draußen her aber sah er noch einmal über den Staketzaun in den Garten zurück. Da war wieder die Musik-Estrade mit den wackeligen No­tenpulten und gleich dahinter das primitive Büffett mit den eingeschnitte­nen Querhölzern, daran zahllose Weißbierdeckel wie kleine Schilde hin­gen. Und dicht daneben und halb überwachsen von einer Kugelakazie stand der eben von ihm verlassene Tisch, auf dessen grüner Platte jetzt die Lichter und Schatten tanzten. Er konnte sich nicht losreißen von dem allen und prägte sichs ein, als ob er ein bestimmtes Gefühl habe, daß ers nicht wiedersehen werde. ›Glück, Glück. Wer will sagen, was du bist und wo du bist! In Sorrent, mit dem Blick auf Capri, war ich elend und unglücklich, und hier bin ich glücklich gewesen.« 16 Waldemar ist überhaupt ein Augenmensch 17 , der immer wieder positiv reagiert auf visuelle Eindrücke. Fontane verwendet wiederholt eine litera­rische Taktik, mit der er Waldemars Stimmung in glücklichen Momenten als visuelle Erfahrung wiedergibt. Stines Zimmer heimelt ihn durch sei­nen Ausblick an und dadurch, dass die Sonne jeden Abend hereinscheint. 18 Auch hat er»seine Freude daran, Stine bei der Arbeit zu sehen« 19 , während