Heft 
(2016) 101
Seite
111
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Erleben und Vermittlung des Glücks in Stine Chambers 111 der Anblick von seines Onkels Zimmer bis in die Detailbetrachtung von Lichteffekten Waldemars gute Stimmung sowohl verursacht als auch wi­derspiegelt. 20 Diese beiden Aspekte visuelle Wahrnehmung und poeti­sche Wiederspiegelung einer Gemütsverfassung lassen sich übrigens schwerlich trennen. Den Blick aus dem eigenen Zimmer liebt Waldemar ebenfalls, wie wir im letzten Kapitel, in dem er auftritt, erfahren, 21 und dann, dem ruhigen Tode nahe, beglücken ihn wieder Bilder Gesehenes aus dem vergangenen Sommer, diesmal als Erinnerung sinnlicher Wahr­nehmungen, welche mit positiven Gefühlserlebnissen eng verbunden sind: »[] die freundlichen Bilder, die dieser Sommer ihm gebracht hatte, zogen noch einmal an seiner Seele vorüber.« 22 Für beinahe alle Romanfiguren also ist das Sehen eine bedeutende Quelle des Glücks, vielleicht mit der Ausnahme der Vorstadtschauspielerin Wanda, die im Roman eher gern ge­sehen wird, als dass sie selber sieht, während ihr Glück im Sprechen bzw. im Singen und im Tun besteht. II. Sprechen Nun kommen wir zu unserem zweiten Aspekt, dem Sprechen, zur Macht der gesprochenen oder gesungenen Worte als Erzeuger des Glücks. In den folgenden Fällen besteht das Glückserlebnis nicht etwa im menschlichen Austausch, nicht im Gespräch, sondern im Mitsingen, oder im Zuhören, indem jemand anders spricht, was jeweils durch die Worte eines oder einer anderen vermittelt ein intensives Erlebnis auslöst. Am Ende von Kapitel 5 heißt es:»Wanda war glücklich«, indem sie Thaddäus Lied aus Holteis Singspiel Der alte Feldherr zum Besten gibt und die anderen bis auf Stine und Waldemar mitsingen. 23 Das bildet offensicht­lich ein Wir-Gefühl bei den Beteiligten, eine gemeinsame Ausgelassenheit unter Charakteren verschiedenen Alters, Geschlechts und auch verschie­dener Klassenzugehörigkeit, auch wenn, oder gerade weil die Worte für die Singenden nicht zutreffen. Fontane zitiert nur den Refrain: »Ist mir nichts, ist mir gar nichts geblieben, Als die Ehr und dies alternde Haupt.« 24 Als Kernbeispiel für dieses Phänomens des vermittelten Glücks dient die Szene, in der Waldemar durch Stines Plaudern über schöne Zeiten ihres Lebens das Glück durch ihr Sprechen sozusagen aus zweiter Hand erleben darf, und dieses mit Worten übertragene Glück genügt ihm:»[Er] hatte seine Freude daran, Stine bei der Arbeit zu sehen und dabei plaudern zu hören.« 25 Stine ihrerseits bestätigt,»daß ihn alles freut, was ich da so hin­plaudere« 26 und sie hat laut Waldemar»ihn in die Gemütlichkeit hineinge­plaudert.« 27 Durch sie und durch dieses vermittelte Glück kann er später in seinem Abschiedsbrief schreiben:»Mein Leben hat doch nun einen Inhalt gehabt.« 28