112 Fontane Blätter 101 Vermischtes Ihm selber gelingt es einmal im Roman, durch Sprechen die melancholische Stimmung, die er vorhin heraufbeschworen hatte, durch eine beglückende zu ersetzen:»Er[…] lenkte dann auch seinerseits wieder zu heiteren Dingen über. Und bald danach trennte man sich in Herzlichkeit und guter Laune.« 29 Mit diesen Worten schließt Kapitel 9. Fontanes Text zeigt also, wie durch Sprechen, evtl. auch Singen ein intensiv empfundenes Glückserlebnis entstehen kann, und dass die Vermittlung durch die Worte anderer dabei eine entscheidende Rolle spielt. III. Tun Nun kommen wir drittens und schließlich zum Tun, wobei nicht Handeln im Sinne von Einzelhandlungen oder-initiativen mit beabsichtigten Folgen gemeint ist, sondern wiederholte oder wiederholbare Aktivitäten, die Teile eines individuellen Lebens ausmachen. Waldemar gehört nicht hierher, denn»zu sinnen und zu träumen, war das, was er liebte.« 30 Was die alten aristokratischen Männer betrifft, den Baron und den Grafen, gehört wenig Anstrengung zum Tun: sie trinken gern guten Wein und rauchen die besten Zigarren. Und laut dem Grafen ließe sich das Zigarrenrauchen vielleicht eher als quasi-visuelles Erlebnis einordnen, gehört also mit zum Kapitel Sehen als Glücksquelle:»[…] eine Cigarre hier, im Hause meiner Freundin, ist mir immer wie Opiumrauchen, das glücklich macht, und bei jedem neuen Zuge seh’ ich die Gefilde der Seligen oder, was dasselbe sagen will, die Houris im Paradiese.« 31 Bei den jüngeren weiblichen Figuren sieht es anders aus. Anders als die Herren arbeiten die Witwe Pittelkow und Stine und bei der Arbeit finden sie auch Glück. Die Pittelkow meint ausdrücklich:»[…] arbeiten is gut, un wenn ich mir so die Ärmel aufkremple, is mir eigentlich immer am wohlsten.« 32 Stine ihrerseits erklärt Waldemar die positiven Seiten ihrer Arbeitsverhältnisse: die Freundschaften, die geschlossen werden, das Vorlesen bei den vorweihnachtlichen Überstunden, die Betriebsausflüge, überhaupt das Gemeinschaftsgefühl und die Abwechslungen, das Reifenspielen in der Sonne mit den Mitarbeitern auf der Landpartie nicht zu vergessen. 33 Und was tut die kleine Olga, um im harten Leben Glück zu erhaschen? Olga, zehn Jahre alt, ist kein charmantes junges Ding, sondern gewieft, verschlagen und früh an die Hausarbeit gewohnt: Kinderhüten, Feuermachen, Wasserkochen, auch zu später Stunde. Arbeiten ist nicht ihr Glück, sondern»eine Stunde ohne mütterliche Kontrolle« 34 lässt sich genießen, und Kuchen isst sie gern, überhaupt Naschen. 35 Fontane erzählt dem Leser auch, wie sie»das längst blankgewordene Treppengeländer im Nu herunterrutscht«. 36 Wie die alten Herrn konsumiert sie(die Alten Wein und Zigarre, die Kleine Kuchen) und wie die jüngeren Frauen findet sie Glück in ausgelassener Bewegung, auch wenn oder gerade weil sich die Gelegenheit dazu selten und nur eine kurze Zeit lang bietet. Die Pittelkow tanzt mit
Heft
(2016) 101
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112
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