Heft 
(2016) 101
Seite
118
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118 Fontane Blätter 101 Vermischtes Welch Panorama an Freundestypen und Erfahrungsreichtum bietet uns der Briefwechsel: die Jugend- und Dichterfreunde wie Lepel and Wolfs­sohn, die er so eifrig einspannte fürs, wie man heute sagen würde, marke­ting seiner Schriften; überhaupt die Tunnel-, Rütli- und Ellora freunde, unter ihnen die väterlichen Freunde, speziell Wilhelm von Merckel, dem er in seiner schwierigsten Lebensepoche so vieles materiell und geistig ver­dankte. Von ihm lernte er u.a. Selbsterkenntnis durch Humor»Muss ich alter Kerl mit kahlem Schopfe und weißem Barte Sie Schwarzkopf und Anfänger Humor lehren?« fragte Merckel verschmitzt am 12. September 1858 nach London und weiter:»Euer Wille hat sich die Nachtmütze aufge­setzt und glaubt schwitzen zu müssen, Aide-toi et le ciel taidera.« 4 Man denke an die befreundeten Ehepaar e, wie Zöllners; die mütterlichen Freun­de, Henriette von Merckel und Mathilde von Rohr, denen gegenüber er sich das Herz ausschütten konnte und die ihm in so vielfacher Weise als Men­schen und Dichter zur Hilfe waren; überhaupt die Frauen freunde und schliesslich die Freunde des Alters, Georg Friedländer und James Morris, die für die politische Dimension seines Spätwerks so dienlich waren. 5 Von seinem Vater Louis meinte Fontane, dass dessen persönliches Be­dürfnis und nicht das seiner Adressaten Ton und Inhalt seiner Konversati­on bestimmt habe. 6 Wie anders der Sohn! Die große Attraktivität der Fon­taneschen Briefkonversation für die Empfänger/innen und auch die Nachwelt liegt in der Art, wie er auf Adressaten und ihre Angelegenheiten einging. Jedes Erlebnis, schrieb einmal die kluge schottische Autorin Muriel Spark(1918–2006), sei für den Dichter ein Gewinn. 7 Fontane ›erlebte‹ inten­siv durch die eigene Lust am Briefschreiben an die so unterschiedlichen Freunde und durch die eigene Sorgfaltigkeit, die er jedem Einzelnen wid­mete, eben weil er, anders als die meisten Korrespondenten, an jeden und jede anders schrieb, auch wenn es um die gleichen ›Begebenheiten‹ han­deln sollte. Als ein Beispiel unter Hunderten etwa der Ton der Briefe an Ludovica, die leicht prüde Tochter seines Kollegen Hesekiel siehe sein Kunststück anlässlich des wahrhaft furchtbaren Gedichts ihres Vaters bei Kriegsausbruch 1870: Der Weiße Wilhelm 8 und an die Art, wie er sie schmeichelhaft als Kollegin traktierte. Sie hat ihm mit wohlwollenden Kri­tiken seines Erstlingsromans bzw. Schach von Wuthenow und Graf Petöfy in den konservativen Blättern erwidert was vielleicht von Fontane auch von vornherein mitbedacht war. 9 Doch charakteristisch für seine Kor­respondenz ist das stete Eingehen auf den anderen, manchmal bis zur Übernahme von dessen Schreibart oder gar zur schmeichelhaften Kreie­rung einer fiktiven Person, so in seiner Stilisierung in den galanten Ge­burtstagsbriefen der braven Hausfrau Emilie Zöllner zur ›hehren Frau‹: All das wurde für ihn zu einer Kunstübung, zum»Kuckkasten meine[s]