54 Fontane Blätter 102 Unveröffentlichtes und wenig Bekanntes Wer fehlt? Wer? Theodor Fontane und Der Monatsgast Georg Wolpert Wer fehlt? Wer? Manch Tapferer vom Königsheer, Der kämpfte und fiel[…] Dr. Böhm 1 In dem Brief Theodor Fontanes an Friedrich Stephany, den Chefredakteur der Vossischen Zeitung, vom 1. November 1886, in dem sich Fontane zunächst voller Empörung darüber äußert, mit welcher Selbstverständlichkeit wieder einmal seine Rezensentendienste in Anspruch genommen werden, 2 findet sich dann auch eine beiläufige, doch aufschlußreiche Bemerkung zu Fontanes erstem Einzugsgedicht aus dem Jahr 1864:»Ich, der weitaus Ärmste von all diesen Herrn, bin dazu da, für die Vermehrung ihres Ruhms und ihrer Kasse Sorge zu tragen, wer aber, frag’ ich, ist für mich da? Keiner. […] Lindau soll vor 20 Jahren einmal, in einem seiner Literaturbriefe geschrieben haben: ›das Gedicht ,Wer kommt, wer´ von Th. F. trifft den Ton des Volksliedes‹. Nun, man soll Gott für alles danken, und Lindau auch, aber es ist doch etwas wenig auf 20 Jahre verteilt.« 3 Das Gedicht Einzug(7. Dezember 1864) 4 mit dem jede der sieben Strophen eröffnenden Vers»Wer kommt? wer?« hat nicht nur den»Ton«, sondern auch eine weitere Gemeinsamkeit mit dem Volkslied. Es ist nämlich wie viele Volkslieder oder Choräle 5 – und das ist in der Rezeptionsgeschichte der Gedichte Fontanes zu dessen Lebzeiten meines Wissens einmalig – von fremder Hand um eine Strophe erweitert worden. Und zwar um eine Strophe, die mit der Frage»Wer fehlt? Wer?« an die Gefallenen und die Trauernden erinnert. Und nicht nur erinnert. Denn der Leser, durch das siebenmal wiederholte suggestive»Wer kommt? Wer?« noch ganz auf den festlichen»Einzug« der siegreichen Truppen nach dem deutsch-dänischen Krieg eingestellt, hat mit der achten und variierten Wiederholung jäh das Kontingent der Toten vor Augen, der Witwen und der Waisen – ein Zug von Geistern – mitten unter den Feiernden und Jubelnden. Diese Erweiterung eines Fontane-Gedichtes findet sich vielleicht nicht ganz zufällig in einer Zeitschrift, die bereits in ihren Titel das Wort»Lazareth« mit aufgenommen hat. Dem Fontane-Archiv in Potsdam ist es im Dezember 2015 gelungen, ein Exemplar der ersten Nummer dieser bibliographisch schwer faßbaren 6 Zeitschrift zu erwerben.
Heft
(2016) 102
Seite
54
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