Heft 
(2016) 102
Seite
74
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74 Fontane Blätter 102 Literaturgeschichtliches, Interpretationen, Kontexte »Ich habe einen ganz freien Sinn, bin aber freilich nicht ›freisinnig‹.« Fontanes politischer Altersroman Der Stechlin 1 Rolf Zuberbühler Für Sigurd Hauff I Als Fontane sich dem Stechlin-Projekt zuwandte, stand er auf dem Höhe­punkt seines Ruhms. Zum 75. Geburtstag des Dichters hatte der junge Pub­lizist Alfred Kerr ein Fontane-Porträt verfasst, in dem er seiner Bewunde­rung für den Schriftsteller Ausdruck gab und womit er die Reihe seiner »Berliner Briefe« eröffnete. 2 In der äußeren Erscheinung, schrieb Kerr, wir­ke der alte Herr zwar altväterisch, aber das»Staunenswerte« sei:»diese unmoderne Persönlichkeit hat unglaublich moderne Ansichten«. 3 Theodor Fontane, der»älteste unter den deutschen Literaten«, werde deshalb von den Vertretern der»jüngsten« Richtung, der naturalistischen, ebenso ge­liebt wie»von demjenigen Kreis der übrigen literarisch Interessierten, wel­cher nicht in rohen Bumbum-Effekten und verlogenen Sentimentalitäten den Gipfel der Kunst erblickt, sondern sich zu ehrlicher Lebensabschilde­rung und feinerer Seelenkunde hingezogen fühlt.« Man bestaune»ein Phä­nomen in dem Manne,[...] der heut mit fünfundsiebzig Jahren noch ein wundervolles, lebenstiefes Abendstück von reifer und inniger Kunst zu­stande bringt« gemeint war Effi Briest. 4 Und dieser»Alte« habe immer noch»ein lebendiges Interesse an allem, was auf literarischem Felde vor­geht. Und was er für bedeutsam und tüchtig hält, dem spendet er unaufge­fordert, in jugendlicher Herzlichkeit, sein Lob. Er braucht einen Menschen nicht zu kennen und tritt ihm plötzlich ich hab es mit tiefer Freude an mir erfahren durch einen Brief näher, weil ihm irgend etwas auffiel und gefal­len hat. Und er ist ein Kritiker«, fuhr Kerr fort.»Er hat in den langen Jahren, in denen er die zeitgenössische Dramatik, berufsmäßig richtend, verfolgte, unendlich fördernde, herbfrische, knappe Kritiken geschrieben[...]. Er schrieb sie für die Vossische.« 5 Das 75. Lebensjahr hatte dem alten Fontane auch die Ehrendoktor­würde gebracht. Mit Effi Briest war er zum»Lieblingsdichter der Nation«